Das Schlitzohr
von
meiner Arbeit, daß ich jeden Tag vom Feierabend überrascht wurde. Ich kam mir
vor wie ein Pferd, das lange Zeit eingesperrt war und sich nun endlich austoben
konnte. Zu meiner großen und freudigen Überraschung konnte ich feststellen, daß
wirkliche Idealisten unter den Wilhelma-Gärtnern waren. So fuhr der
Orchideenobergärtner Scherer alljährlich in seiner Freizeit auf eigene Kosten
nach München, um vom Botanischen Garten Orchideensämlinge für die Wilhelma zu
ergattern, die ihm auch in großzügiger Weise überlassen wurden. Besonderen
Eindruck machte auf mich der Kakteenobergärtner Bauer. Als großer Kakteenkenner
hatte der frühere Direktor Alwin Berger durch zahlreiche Aussaaten die
Grundlage für eine wertvolle Kakteen- und Sukkulentensammlung gelegt. Nach seinem
Ausscheiden bestand kein Interesse mehr an dieser Sammlung, im Gegenteil, man
wollte sie wieder loswerden. Gegen größte Schwierigkeiten und persönliche
Querelen gelang es dem Obergärtner Bauer, diese Sammlung zu retten. Sie war der
willkommene Grundstock für das neue Kakteenhaus.
Dabei kam mir noch ein Glücksfall
zugute. Eines Tages suchte mich der Schöpfer der neuen Wandelhalle in Bad Mergentheim,
Dr. Krüger, auf, um Palmen und andere geeignete Pflanzen für dieses Bauwerk zu
erwerben. Ich erklärte ihm, daß ich ihm zwar gerne behilflich wäre, aber das
ginge nur auf dem Tauschwege. Da er natürlich keine eigenen Pflanzen hatte,
erklärte ich mich bereit, die Pflanzen, die wir wünschten anzukaufen, und die
Rechnung zur Bezahlung nach Mergentheim zu schicken. So geschah es dann auch.
Er bekam seine Palmen und andere große Pflanzen, die aus Platzmangel bei uns
dringend ausgeschieden werden mußten, und wir konnten in ganz Deutschland,
besonders bei einem Berliner Importeur, die herrlichsten Kakteen erwerben, die
in Deutschland eingeführt worden waren. So war allen geholfen, Architekt und
Bauherrschaft in Mergentheim freuten sich über die glänzend ausgestattete
Wandelhalle, unsere Pflanzen in der Wilhelma hatten wieder Luft, und wir hatten
unsere Kakteensammlung so komplettiert, daß sie eine der bedeutendsten
Sammlungen in Deutschland geworden war. Allerdings hatte ich wieder einmal
gründlich gegen die Haushaltsvorschriften verstoßen. Denn erstens hätte ich
beim Pflanzenverkauf das Geld vereinnahmen und abführen müssen und zweitens war
ich zu Geschäften in dieser Höhe gar nicht ermächtigt. Aber es hat ja keiner
gemerkt.
Gleichzeitig mit der Einrichtung des
Kakteenhauses mußte ich das Warmhaus verlegen. Dieses bildete nämlich bisher
das Eingangshaus. Da im Winter bei jedem Öffnen der Türe ein Kaltluftschwall
die empfindlichen Pflanzen schädigte, hatte ich diese Änderung längst
beschlossen. Die Pflanzen, die tropische Luft liebten, bekamen jetzt ihren
Platz im dritten Gewächshaus, und am Ende des Hauses machten wir die
Bepflanzung so dicht, daß man das Gefühl bekam, durch einen Dschungel zu
schlüpfen. Um so größer, höher und freier wirkte dann der anschließende
Wintergarten.
Diesem Wintergarten hatte ich von
Anfang an eine Umgestaltung versprochen. Wenn er im Sommer ausgeräumt war,
wirkte er einfach scheußlich. Die im Wintergarten verbliebenen Palmen standen
auf bis zu vier Meter hohen Hockern und sahen aus wie die Raubtiere in der
Zirkusmanege bei einer Dressurvorführung. Ursprünglich war das ein genialer
Einfall des ersten Hofgärtners. Die königlichen Herrschaften wollten im Winter,
wenn draußen Eis und Schnee herrschten, unter Palmen wandeln. Das geht aber
schlecht, wenn eine Palme zwar ansehnliche Blätter, aber noch keinen Stamm hat.
Da mußte man entweder 50 Jahre warten, bis die Palmen die entsprechenden Stämme
hatten, oder aber, wie es der trickreiche Obergärtner machte, die Palmen auf
zwei bis vier Meter hohe Hocker stellen. Jetzt konnte sich die Hofgesellschaft
unter Palmen ergehen und ihren Urwaldgefühlen freien Lauf lassen. Um diese
Gefühle durch den trostlosen Anblick der desillusionierenden Hocker und
Pflanzenkübel nicht zu stören, wurden diese durch eine grüne Wand der
verschiedensten Pflanzen zudekoriert. Da diese Pflanzen aber im Sommer im
Schatten der Palmen zugrunde gegangen wären, brachte man sie regelmäßig Ende
Mai ins Freie. Nun waren aber die 50 Jahre schon längst verstrichen, und die
Palmen hatten die passenden Stämme, ja sie begannen schon langsam das Dach zu
heben. Wir taten, was längst fällig war, und stellten die Palmen auf den
Fußboden. Jetzt war aber
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