Das Schlitzohr
betraf, half mir mein zoologisches Studium einigermaßen, aber in
der Praxis der Tiergärtnerei nützte es mir kaum. Wir mußten hier auf den
Erfahrungen der Tierhaltung in der Meierei Rosenstein, der Zier- und
Wassergeflügelhaltung in der Wilhelma und den Seen der Anlagen sowie einer
bescheidenen Rot- und Damwildhaltung vor dem Kriege aufbauen. Im übrigen hieß
es lernen, wo es irgendwie möglich war. Wir hatten natürlich auch keine
erfahrenen Wildtierpfleger, und es blieb uns nichts anderes übrig, als unsere
Mitarbeiter selbst auszubilden. In dieser Situation war es ein großes Glück,
daß wir in Dr. Widmaier einen begeisterten Tierarzt fanden, der unsere Tiere
nicht nur tiermedizinisch gut betreute, sondern auch sonst mit Rat und Tat zur
Verfügung stand.
Überraschend für mich war, wie rasch
eigentlich der Lernprozeß bei uns allen vor sich ging. Der Hauptgrund dafür
war, daß wir genau wußten, wie sehr wir und unser Tun beobachtet wurden. Es
durfte einfach nichts schiefgehen. Denn sonst »gnade uns Gott«! Nicht nur die
Zoogegner in den Ministerien sahen uns kritisch auf die Finger, sondern auch
unsere Zookollegen, die uns fürs erste als Außenseiter nicht allzu ernst
nahmen. Allerdings änderte sich das bald. Unser Außenseiterdasein hatte aber
auch sein Gutes. Es fiel uns viel leichter als den anderen Zoos, in der
Tiergärtnerei neue Wege zu gehen, da wir mit den überkommenen Vorstellungen der
klassischen Tiergärtnerei nicht belastet waren. Auch konnte ich sehr viele
botanische und gärtnerische Erkenntnisse auf die Tiergärtnerei übertragen.
So wußte ich als Gärtner um den Wert
der Sonne bei Aquarien. Während man bisher allgemein grundsätzlich die Aquarien
in lichtarmen Räumen aufstellte, legte ich auf möglichst viel Tageslicht bei
den Aquarien den größten Wert. Das erforderte zwar wesentlich mehr Arbeit, denn
die Glasscheiben mußten wegen des starken Algenwachstums häufig gereinigt
werden, dafür erzielten wir aber Haltungserfolge bei den Fischen, wie sie kein
anderes Aquarium aufzuweisen hatte. Unser besonderer Stolz waren die wertvollen
Fische der Korallenregionen der Weltmeere, und die Wilhelma ist heute noch auf
diesem Gebiet führend.
Wir übernahmen zum Beispiel auch vom
Gewächshausbau den Grundsatz, alle Eisenteile zu verzinken. Auch die
Elektrozäune wurden von uns erstmals in der Tiergärtnerei verwendet.
Eine wichtige Erkenntnis gewann ich,
als ich beobachtete, wie die Elefanten der Wilhelma ihren Wärter an die Wand zu
drücken versuchten. Wenn der Wärter nicht im letzten Augenblick entkommen wäre,
hätte ihn dieser Versuch das Leben oder mindestens einige gebrochene Rippen
gekostet. Mir wurde klar, wie unentbehrlich Gehorsamsübungen bei diesen
Kolossen sind, um Gefahren an Leib und Leben der Tierpfleger zu vermeiden. Bald
erkannte ich auch, daß gewisse Dressurübungen dem Wohlbefinden der Tiere
förderlich sind. So waren unsere Ponys unnatürlich fett, bis wir das
Kinderreiten einführten. Und es ist auch kein Geheimnis, daß die Raubtiere im
Zirkus infolge ihrer täglichen Arbeit wesentlich weniger Schwierigkeiten bei
der Geburt ihrer Nachkommen haben als die faul herumliegenden Raubkatzen im
Zoo. Dieses überraschende, beinahe tägliche Dazulernen war mit das schönste
Erlebnis beim Aufbau des Wilhelmazoos.
Inzwischen war ein großer Teil der
alten Belegschaft aus dem Kriege und der Gefangenschaft heimgekehrt. Einige
tüchtige Gärtner konnte ich zusätzlich einstellen. Allerdings ließen sich
damals nur Mitarbeiter gewinnen, wenn man ihnen Wohnraum verschaffte. Deshalb
versuchte ich, mit Hilfe des Bauamts jedes Wachhäuschen und jeden nur halbwegs
geeigneten Raum als Wohnraum auszubauen. Hier wurde mir von seiten des
Staatsrentamtes sehr geholfen, so daß wir Ende 1952 bereits 20 Familien und 30
ledige Mitarbeiter untergebracht hatten.
Einer der wertvollsten Mitarbeiter, den
ich nach dem Krieg gewinnen konnte, war Garteninspektor Jochem, der mir bei der
Wiederherstellung des gartenbaulichen Teils der Wilhelma eine große Hilfe war.
Leider mußte er aus gesundheitlichen Gründen viel zu früh ausscheiden.
Der gärtnerische Teil der Wilhelma
wurde beim Wiederaufbau keinesfalls vergessen. Im Gegenteil, wir errichteten
neue Anzuchthäuser und benutzten jede Gelegenheit, die Pflanzensammlungen zu
bereichern. So konnten wir 1952 5000 Orchideen, eine der bedeutendsten
Sammlungen Deutschlands, in Berlin erwerben.
Das gärtnerische Hauptereignis des
Jahres 1952 war
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