Das Schlitzohr
Entscheidung
persönlich vorbehalten. Er fürchtete meinen Tatendrang und genehmigte dann auch
vorerst nur die Hälfte. Das war aber gar nicht schlimm, denn dadurch hatten wir
gleich eine Anzahl neuer Attraktionen für das folgende Jahr.
Um auch noch die letzten Sorgen
auszuräumen, schlug ich meinen Freund, Professor Heim, den Leiter der
Bildhauerklasse der Stuttgarter Kunstakademie, als künstlerischen Berater vor.
Durch seine Vermittlung beteiligten sich namhafte Künstler an der Ausgestaltung
des Märchengartens und schufen gute Plastiken wie Esel, Papagei, Aschenbrödel
und andere. Die hübscheste Plastik stammt von Professor Heim selbst, sie zeigt
aus dem Märchen »Brüderlein und Schwesterlein« das Brüderlein, das zum Reh
geworden ist.
Mit nicht geringer Spannung wurde von
allen Beteiligten die Reaktion der Bevölkerung auf diesen Märchengarten
erwartet. Ich selbst war fest überzeugt, daß das Unternehmen einschlagen würde,
aber mit der Reaktion, die sich einstellte, hatte ich doch nicht gerechnet. Die
Einnahmen stiegen um über 50 Prozent und im Jahr i960 lagen sie sogar 100
Prozent über denen des Vorjahrs. Der Grund war sehr einfach. Dank des
Märchengartens schleppten jetzt die Kinder ihre Eltern ins Blühende Barock.
Aber damit die Besucher des Märchengartens bestimmt auch den ganzen Park
erlebten, siedelten wir die Märchenfiguren in seiner hintersten Ecke an. Auch
das hat sich sehr bewährt, denn viele Erwachsene, die eigentlich nur den
Kindern zuliebe den Garten aufsuchten, waren von der Blumenpracht überrascht
und beschlossen, den Besuch zu wiederholen.
Quasi durch die Hintertüre vermittelten
wir Eltern und Kindern die Freude an den Pflanzen und Blumen des Schloßparks.
Eine weitere wichtige Aufgabe sahen wir darin, die Phantasie der Kinder
anzuregen. Deshalb wird, bis auf zwei Ausnahmen, jeweils nur ein kleiner
wichtiger Ausschnitt aus dem Märchen gezeigt. Natürlich bekamen wir auch Prügel
für dieses Unternehmen: die Anlage sei Kitsch und keine Kunst. Aber erstens ist
dies Geschmackssache, und zweitens bedeutete für uns der Märchengarten die
finanzielle Rettung des Blühenden Barocks.
Auch die Pressearbeit war für den
Ludwigsburger Park schwieriger als für die Wilhelma. Das änderte sich erst, als
wir zu unseren Pressekonferenzen in den Bacchuskeller einluden. Dieser Keller ist
ein hoher Raum mit einem mächtigen Gewölbe. Er umschließt ein Riesenfaß mit 90
000 Liter Fassungsvermögen, das mit Recht als das schönste Riesenfaß gilt und
aus dessen Hahn man roten und weißen Wein zapfen kann. Dazu thront im Vorkeller
auf einem anderen Faß ein Bacchus, der — wenn man an einem Hahn dreht — ahnungslose
Besucher anspritzt. Da sich immer wieder ein Opfer fand, war für Stimmung rasch
gesorgt. Kein Wunder, daß wir hier manchen Freund des Blühenden Barocks
gewonnen haben, wenn wir mit ihm bei Wein und warmem Leberkäs feierten. Während
wir den Märchengarten vorbereiteten, bekam ich Erich Jaeger, einen jungen
Gartenbauingenieur, als neuen Mitarbeiter. Er bewährte sich und wurde bald die
rechte Hand und später der Nachfolger meines Vertreters Redmann. Es war mir
eine besondere Freude, diesen tüchtigen Mann als meinen Nachfolger beim
Blühenden Barock vorzuschlagen.
Tristan war zu dick
Im Gegensatz zum Blühenden Barock, das
bis zur Eröffnung des Märchengartens einen ständigen Besucherrückgang aufwies,
stieg auch im Jahre 1956 trotz einer Erhöhung des Eintrittsgeldes der Zulauf
zur Wilhelma weiter an. Da war es ein Glück, daß wir schon 1955 mit dem Umbau
des Halbmondsees zu einer Robbenanlage begonnen hatten, die wir aus dem Fonds
unserer Tombola finanzierten. Wir besetzten sie mit Seelöwen und einem Paar
See-Elefanten. Die See-Elefanten waren von einem erfahrenen Robbenjäger namens
Gräber gefangen und zu uns gebracht worden. Das weibliche Tier wurde bei Marion
Island und der Mann bei Tristan da Cunha gefangen. Wir nannten sie deshalb
Marion und Tristan. Herr Gräber hatte die Tiere auf der Fahrt um den halben
Globus selbst begleitet und er erzählte uns, daß sich Tristan in seiner vier
auf vier Meter großen Badekiste auf dem Schiffsdeck recht wohlgefühlt und daß
er schon nach einer Woche gut gefressen hätte. Tristan war deshalb auch in
einer großartigen Verfassung. Die Dame Marion dagegen war fast während der
ganzen Fahrt in den Hungerstreik getreten, so daß sie bei ihrer Ankunft für
eine See-Elefantendame ausgesprochen schlank war.
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