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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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interessierte sich der alte Hengst für sie wesentlich mehr als
für seine bisherige Partnerin. Ja, diese mußte ihn, wenn sie rossig war, zu
einem Deckakt richtig drängen. Nach mehreren Jahren verweigerte er sich ihr
vollständig, obwohl sie ihn heftig umwarb. Auch die Töchter dieser Stute wurden
äußerst lustlos gedeckt. Dagegen wurden die später hinzugekommene Stute und
ihre weiblichen Nachkommen, sobald sie rossig waren, von ihm so heftig
verfolgt, daß man es schon als eine unziemliche Belästigung empfinden konnte.
    Hier zeigt sich übrigens auch ein
Problem der Gehege. Auf der Steppe können die Tiere ihren Verfolgern
ausweichen, aber es gibt kein Gehege, das Ausmaße von einigen hundert Hektar
besitzt. Das ist bei Trägern von Geweihen oder breit ausladenden Hörnern etwas
anderes, hier kann man den Zugang zu einem Ausweichgehege durch Palisaden so
verengen, daß nur die weiblichen Tiere Zugang haben. Das Brunftverhalten der
Tiere und die damit verbundenen Rivalitäten sind oft eine Gefahr für die
Tierpfleger. Wenn zum Beispiel eine Kuh heiß oder eine Stute rossig wird,
merken es ihre männlichen Partner sofort. Es stellt sich bei ihnen das Gefühl
der Eifersucht ein, und der Pfleger, den sie bisher als ihren Freund
betrachteten, wird zum Konkurrent. Sucht nun das empfangsbereite Tier dem
Pfleger durch Schmeichelei einen Leckerbissen zu entlocken, so wird das von dem
männlichen Tier falsch verstanden und führt zu Angriffen, die lebensgefährlich
sein können. Einen tödlichen Ausgang solcher Eifersuchtshandlungen bei
Elefantenbullen haben einige Zoos erleben müssen. Deshalb haben mein Nachfolger
und ich auf eine Bullenhaltung bei Elefanten bewußt verzichtet, obwohl es kaum
etwas Entzückenderes gibt, als ein Elefantenbaby, das zwischen den Säulen der
mütterlichen Beine steht.
    Die Anregungen des Rechnungshofes waren
im Ministerium nicht ungehört geblieben, und die Wilhelma wurde ab dem
Haushaltsjahr 1955 ein Wirtschaftsbetrieb des Landes nach der
Reichshaushaltsordnung § 15. Das bedeutete mehr Zuständigkeit und entsprechend
höhere Eigenverantwortung. Das Beste an diesem Erlaß war, daß ich nun Tiere im
Einzelwert bis 20 000 DM ohne Antrag auf Genehmigung kaufen konnte, und daß wir
ein eigenes Bankkonto und eine eigene Kasse hatten. Letzteres hatte den enormen
Vorteil einer ungemein raschen Zahlungsabwicklung. Wir brachten es fertig, den
größten Teil der Rechnungen am Tag ihres Eintreffens zu überprüfen und am
folgenden auszubezahlen. Diese gute Zahlungsmoral sprach sich in kürzester Zeit
im Kreise unserer Lieferanten herum. Da wir auch gute Kunden waren und einen
gerechten Preis ohne zu feilschen akzeptierten, wurden wir bald zu bevorzugten
Kunden, denen man Seltenheiten und zoologische Kostbarkeiten zuerst anbot. Als
kaufmännisch eingerichteter Betrieb mußten wir natürlich auch eine
Eröffnungsbilanz aufstellen. Da war ich froh, daß ich in diesem Jahr gerade
zwei tüchtige Mitarbeiter eingestellt hatte. Es war der als
Dornschwanzlieferant bereits bekannte Student Neugebauer, der noch in
Examensnöten steckte. Der zweite war Herr Neff, ein Verwaltungsinspektor aus
dem Liegenschaftsamt, der sich um eine neu geschaffene Stelle bewarb, weil ihn
die unkonventionelle Arbeitsweise in der Wilhelma reizte.

     
    Die Eröffnungsbilanz ergab, daß die
Wilhelma am 1. 3. 1955 bereits den nicht unbedeutenden Bestand von 1479 Tieren
in 398 Arten hatte. Das war ein Bestand, der nach den damaligen Verhältnissen
dem eines größeren Zoos entsprach.
     
     
     

»Und wenn sie nicht
gestorben sind...«
     
     
    »Eine Stellung halten, ist schwieriger
als eine Stellung stürmen.« Diese alte Soldatenweisheit galt auch für die
Fortführung des Blühenden Barocks. Der Verkaufserfolg der Dauerkarten war nach
wie vor großartig, es gehörte schon beinahe zum guten Ton in Ludwigsburg, eine
Dauerkarte ins Blühende Barock zu lösen. Leider ging aber der Verkauf von
Tageskarten nach dem Jubiläumsjahr erschreckend zurück, und es konnte uns nicht
lange verborgen bleiben, daß namentlich Familien mit Kindern das Blühende
Barock immer weniger aufsuchten, während die Wilhelmabesucher sich gerade aus
diesen Kreisen rekrutierten.
    Das Naheliegendste, wenn auch nicht
gerade das Einfallreichste war, Konzerte zu veranstalten. Aber es stellte sich
schnell heraus, daß seit der Erfindung der Schallplatte, des Radios und des
Fernsehens die Musikberieselung solche Ausmaße angenommen hatte, daß
durchschnittliche

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