Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
ganz hinten, nahe der Mauer, im Schatten einer alten Kastanie. Diese letzte Ruhestätte hätte ihr sicher gefallen. Nur das Rauschen des Windes in den Baumkronen und das Zwitschern der Vögel durchbrach die Stille. Bienen summten, und Schmetterlinge flatterten von Blüte zu Blüte. Der süße Duft der Blumen erfüllte die laue Sommerluft.
Lisbet schloss die Augen und versuchte, wieder Ruhe und Frieden zu finden. Doch stattdessen sah sie aus einem unerfindlichen Grund Hannes’ Gesicht vor sich, und ihr Herz fing an, heftiger zu klopfen.
Hastig schlug sie die Augen wieder auf und bemühte sich, den Gedanken an ihn abzuschütteln. Doch das war alles andere als leicht. Immerhin hing die Zukunft von Beringholm Slott von Hannes ab.
Und damit auch die von Lisbet und ihren Schützlingen.
Sie wusste, lange würde sie ihn nicht mehr hinhalten können. Und wenn er erfuhr, dass es die schriftliche Vereinbarung zwischen Hilda und ihr nie gegeben hatte, würde er sofort verkaufen, so viel stand fest. Ihre einzige Chance war es also, ihn so schnell wie möglich davon zu überzeugen, wie wichtig die Arbeit war, die sie auf Beringholm Slott leistete. Doch wie sollte sie das bloß anstellen?
„Hab ich also doch richtig gesehen, dass du’s bist“, erklang plötzlich Lars’ volltönende Stimme hinter ihr.
Sie atmete tief durch und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, ehe sie sich zu ihm umwandte. „
Hej
, Lars. Ich habe mich lange davor gedrückt, Hilda hier zu besuchen. Es kommt mir so … endgültig vor.“ Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Das klingt ganz schön albern, was?“
Lars schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht. Du vermisst sie sehr, nicht wahr?“
„Ja, sie fehlt mir. Es ist jetzt schon drei Wochen her, und ich denke manchmal immer noch, dass sie gleich zur Tür reinspaziert. Irgendwie will mir der Gedanke, dass ich sie nie wiedersehe, einfach nicht in den Kopf.“
Mitfühlend legte Lars ihr eine Hand auf die Schulter. Obwohl er ihr damit sicherlich nur Trost spenden wollte, war Lisbet die Berührung unangenehm. Sie wusste genau, dass er schon lange heimlich in sie verliebt war, aber sie konnte seine Gefühle einfach nicht erwidern.
Dabei war es keineswegs so, dass sie ihn nicht mochte. Ganz im Gegenteil: Lars war ein netter Kerl. Er sah gut aus, und Lisbet kannte einige, die gern mit ihr getauscht hätten. Doch Gefühle ließen sich nun mal nicht erzwingen – ganz gleich, wie gern man jemanden auch hatte.
Was für eine Ironie, dass ihr Körper auf Hannes so vollkommen anders reagierte. Sie wusste selbst nicht, was sie an diesem unausstehlichen Kerl eigentlich fand. Seit er aufgetaucht war, machte er ihr nur Scherereien. Und was tat sie? Sank ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Arme. Lars hingegen war eher wie ein Bruder für sie. Das Leben war schon manchmal wirklich verrückt!
„Und wie läuft es mit deinem Gast?“, fragte Lars, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Sag mir Bescheid, wenn er sich danebenbenimmt, ja?“, ereiferte er sich. „Ich werde dem Knaben schon beibringen, wie man einer Frau Respekt erweist.“
„Tack så mycket“
, entgegnete sie. „Vielen Dank, aber damit komme ich schon allein zurecht. Ich weiß, du meinst es gut, aber ich brauche wirklich keinen starken Mann als Beschützer.“
Als sie sah, wie er betreten den Blick senkte, bereute sie ihre Worte sogleich wieder. Verdammt, sie wollte ihm ja nicht wehtun, aber genauso wenig wollte sie ihn in seinen Bemühungen bestärken!
„Ich könnte dir helfen, weißt du?“, sagte er leise. „Dieser Vertrag zwischen Hilda und dir …“
„Ein solches Dokument existiert nun mal nicht“, fiel Lisbet ihm ins Wort. „Und ich glaube, es war ein großer Fehler, überhaupt damit anzufangen! Ich habe ein wenig Zeit gewonnen – aber was hilft mir das? Früher oder später werde ich die Karten auf den Tisch legen müssen, und dann habe ich gegenüber Hannes sowieso verloren. Er wird mich für eine Lügnerin halten – zu Recht …“
„Wer sagt denn, dass er es überhaupt erfahren muss?“
Fragend hob sie eine Braue. „Wie meinst du das?“
„Erinnerst du dich noch an Fredrik Ljung? Ich habe ihn dir beim letzten Mittsommerfest vorgestellt. Er ist früher mit mir in eine Klasse gegangen.“
Vage erinnerte Lisbet sich an einen großen dürren Mann, der einen gehetzten Eindruck auf sie gemacht hatte, weil er sich während ihrer kurzen Unterhaltung ständig nach allen Seiten umgeblickt hatte. Sie nickte.
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