Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
auszumisten, während die Kleinen das Futter verteilt haben.“
Der vernarrte Blick, den das Mädchen Hannes dabei zuwarf, entging Lisbet nicht, doch sie bezweifelte, dass er ihn bemerkte.
„Eine aufgeweckte Rasselbande hast du da“, sagte er schmunzelnd und trat auf sie zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Freude macht, sich mit Kindern zu beschäftigen.“
„Nun, ich nehme an, du hast es nie wirklich versucht?“
Er sah sie verdutzt an, dann lachte er. „Stimmt, du hast recht. Die einzigen Kinder, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren die unserer Hotelgäste. Und die sind in der Regel nur Mini-Ausgaben ihrer Eltern: gut gekleidet und furchtbar wohlerzogen.“ Er seufzte. „Schätze, mein Bruder Tobias und ich waren auch nicht anders. Unser Vater hat ein strenges Regiment geführt. Undenkbar, dass einer von uns sich dreckig gemacht oder mit zerrissenen Hosen nach Hause gekommen wäre.“
„Das muss eine ziemlich traurige Kindheit gewesen sein“, entfuhr es Lisbet – und zu ihrem Erstaunen empfand sie tatsächlich so etwas wie Mitgefühl.
Sie selbst war in einer Künstlerfamilie aufgewachsen – der Vater Schauspieler, die Mutter Sängerin. Da die Engagements ihren Vater an Theater in ganz Schweden führten, war Lisbet als junges Mädchen sehr viel herumgekommen. Von Ystad im äußersten Süden von Skåne über Göteborg und Stockholm bis nach Kiruna nördlich des Polarkreises – überall hatte sie schon einmal für eine Weile gelebt. Und obwohl es aufgrund der vielen Umzüge kaum möglich gewesen war, echte Freundschaften zu schließen, hatte sie rückblickend betrachtet eine wunderbare Kindheit gehabt.
Hannes zuckte mit den Achseln. „Ich glaube nicht, dass ich mich wirklich als trauriges Kind bezeichnet hätte. Im Gegensatz zu meinem Bruder habe ich mich oft über die Regeln und Verbote meines Vaters hinweggesetzt. Ich war so etwas wie das schwarze Schaf der Familie – vermutlich bin ich das noch.“
Sein Lächeln war nur aufgesetzt, das spürte Lisbet sofort. Doch es stand ihr nicht zu, weiter in ihn zu dringen. Wenn er darüber reden wollte, dann würde er schon von selbst auf sie zukommen.
Und genau genommen ging es sie auch überhaupt nichts an.
Überrascht stellte sie fest, dass sie sich viel mehr für ihn und seine Belange interessierte, als es unter den gegebenen Umständen angemessen war. Dieser Mann hatte einfach etwas an sich, das sie all ihre Prinzipien vergessen ließ.
„Hannes, kommst du?“, riss Aleksandras helle Stimme sie aus ihren Gedanken. „Wir haben drei Runden gespielt, wie du gesagt hast, und mein Team hat mit zwei zu drei Punkten gewonnen.“
„Gar nicht wahr!“, mischte sich die sonst so stille Jenny ein. „Einmal hatten wir Gleichstand – ich weiß es noch ganz genau!“
Es sah ganz so aus, als würde jeden Augenblick eine Zankerei beginnen – doch Hannes brachte die Streithähne mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen.
„Immer mit der Ruhe“, sagte er. „Was ist denn das Problem? Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich der Hälfte von euch ein Eis spendiere und die anderen hungrig zuschauen lasse, oder?“
Überrascht schaute Lisbet ihn an. „Eis?“
Er lächelte entschuldigend. „Ich weiß, ich hätte dich vorher fragen sollen – es war nur als kleine Motivation für das Spiel gedacht. Du hast doch nichts dagegen, oder?“
Tadelnd hob Lisbet eine Braue. „Nun, ich könnte mich dazu durchringen, eine Ausnahme zu machen – aber nur unter einer Bedingung.“
„Und die lautet?“
„Dass ich ebenfalls eingeladen bin“, erklärte sie lachend.
Goldenes Sonnenlicht sickerte durch das sattgrüne Blätterdach, und der Wind fuhr raschelnd durch die Kronen der Bäume, als sie sich knapp zweieinhalb Stunden später mit vollen Eisbäuchen auf dem Rückweg nach Beringholm Slott befanden. Ein erdiger Geruch lag in der Luft, vermischt mit dem süßen Duft der Blumen, die am Wegesrand wuchsen.
Hannes atmete tief durch und spürte, wie neue Energie ihn durchströmte. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass er den Aufenthalt in der freien Natur so genießen könnte. Für Menschen, die erholsame Spaziergänge im Park liebten, hatte er stets nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Was sollte es schon bringen, wenn man stundenlang ohne Sinn und Zweck durch die Gegend lief? Und was Kinder betraf, so hatte er sich zeit seines Lebens nicht mit diesem Thema beschäftigt. Wer glaubte, sich eines dieser kleinen, ständig quengelnden Wesen
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