Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
Vom Netzwerk:
die der Aufgenommenen um das Vierfache.
    »Du wirst sehen, in ein paar
Jahren müssen wir in Rommelshausen bauen«, sagte er zu seinem Mitarbeiter, dem
Hausvater und Lehrer Kölle, als das »Schweizerhaus«, wie es genannt wurde,
glücklich bezogen war.
    Drei Jahre später war es soweit!
Am Tage vor Himmelfahrt 1886 wurde das Richtfest für den Anbau gefeiert, der so
groß geriet, daß das Schweizerhaus mit seiner schönen Veranda dagegen
bescheiden in den Hintergrund trat.
    Die Einweihung verzögerte sich noch
bis in den Oktober. Es wurde ein großer Tag, auf den nur dadurch ein Schatten
fiel, daß Hausvater Kölle nicht mehr teilnehmen konnte, weil er inzwischen
einer ehrenvollen Berufung nach Zürich gefolgt war. Er sollte dort Direktor
einer neu errichteten Anstalt für Epileptiker werden. In der Nähe des Züricher
Sees und im Anblick der gewaltigen Berge durfte er das Werk seines
Schwiegervaters Landenberger fortsetzen und so den Geist von Stetten in die
Schweiz tragen. Der Abschied war schwer gewesen. Doch fand sich immer wieder
ein Ersatz in Gestalt von Männern und Frauen, die bereit waren, ihr Leben für
die Schwachen und Kranken zu opfern. Denn in Stetten gab es kein Stillestehen
und Ausruhen auf dem bisher Erreichten.
    Im Jahr 1891 stieg die Zahl der
Pfleglinge auf 345, die der Angestellten auf 123, so daß der Inspektor sogar
glaubte, jetzt könne man die Bedürfnisse des schwäbischen Landes befriedigen.
Aber er täuschte sich. Vor allem in Rommelshausen reichten die vorhandenen
Plätze bei weitem nicht aus. Die Zeiten hatten sich inzwischen geändert. Man
war aufmerksam geworden auf die Elendsquartiere in Stadt und Land, und unter
dem Druck der sozialen Gegensätze ging man den Nöten und Beschwerden nach, die
man vorher nicht hatte sehen wollen. Ganz anders als vor etwa 20 Jahren wußte
man sich zur Fürsorge für die Ärmsten verpflichtet.
    Das bedeutete aber, daß auch in
Stetten die Frage nach einem Neubau wieder brennend wurde. Vor allem sollte
jetzt ein Wohnheim für schulpflichtige epileptische Kinder geschaffen werden.
Die Kosten wurden auf mindestens 76 000 Mark veranschlagt. Es mußte eine Schuld
aufgenommen werden. Aber was verschlug sie schon gegenüber der Schuld, die noch
immer abzutragen war, die Schuld des ganzen Volkes an seinen Kranken und
Elenden? Auch zum Schuldenmachen brauchte man das Vertrauen auf die Hilfe
dessen, der schon immer der Herr dieses ganzen kühnen Unternehmens gewesen war.
Die staatlichen Stellen wurden um Hilfe angegangen oder sagten sie von selber
zu; die Freunde der Anstalt wurden vom Inspektor aufgefordert, dem Beispiel der
Verwandten und Bekannten des Hiob zu folgen, die ja auch nicht nur mit
freundlichen Worten des Trostes zu ihm gekommen seien, sondern ihm, wie in der
Bibel nachzulesen sei, einen »schönen Groschen« verehrt hätten.
    So beschloß der Ausschuß im
August des Jahres 1891, ein Wohnheim für 60 epileptische Knaben zu errichten
und darin zugleich die Wohnung für den Arzt unterzubringen. Es sollte seinen
Platz gleich links vom Tor bekommen. Dafür mußten eine Anzahl der alten schönen
Bäume des Parks ihr Leben lassen, die bisher mit ihren mächtigen Kronen die
Besucher Stettens schon von weitem gegrüßt hatten. Es ließ sich nicht leugnen:
Das neue Gebäude hob sich fremd von dem dahinter liegenden Schloß mit seinem
Turm ab. Es war der Geist des zu Ende gehenden Jahrhunderts, der sich darin
ausprägte; er stand im Gegensatz zu dem »schwäbischen Nizza« der alten
württembergischen Herzoginnen. Aber aus dem Nizza für die vornehme Welt war ein
Bethesda für das leidende Volk geworden, und der Zimmermann hatte schon recht,
wenn er beim Richtfest, hoch oben auf dem First unter dem Maienbaum stehend,
der versammelten Gemeinde zurief:
    Gott
geb dem Haus sein täglich Brot,
    beschirme
es vor Feuersnot,
    Er
lasse sich befohlen sein
    in
seine Gnad und Obhut fein
    Gesunde
wie die Kranken all,
    behüte
sie vor schwerem Fall!
    Dem
Arzt segne Er sein Bemühn,
    und
lasse in die Heimat ziehn
    aus
ihrer Mitte jedes Jahr,
    genesen,
eine große Schar!
    Doch
wen Er in die Heimat holt,
    erlöset
von der Erdennot,
    laß
Er im Frieden fahren hin
    und
in die rechte Heimat ziehn!
    Das
ist der Wunsch, das unsre Bitt’:
    »Geleit
sie all auf Schritt und Tritt!«
     
    Fünfzehn Jahre war es her, daß
der Inspektor die Leitung der Anstalt mit Arzt und Lehrer zusammen übernommen
hatte. Er war nun endgültig der Meinung, daß die Anstalt die Grenze erreicht
habe,

Weitere Kostenlose Bücher