Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten
nahm und sich irgendwo in einem Schlupfwinkel
versteckte, wo sie niemand vermutete. Strahlend führte jetzt die kleine Mutter
ihre Puppenkinder vor aller Welt im Wagen spazieren. »I hab Ferien«, erklärt
sie, »i nimmer in d’ Schul gehen, i Hangweide bleiben!«
Manche Eltern sind traurig,
wenn ihr Kind nicht mehr in die Schule gehen soll. Immer wieder kommen sie und
fragen, ob man nicht doch noch einen Versuch mit ihrem Kind machen wolle. Aber
sollten sie nicht froh sein, wenn sich ihr Kind in seiner neuen Familie wohl
und glücklich fühlt? Wenn es nicht mehr böse wird, weil die anderen mehr
können, sondern den Weg zu seinen Mitmenschen findet? Wenn es ganz ausgefüllt
ist von der Arbeit, die ihm zugeteilt wird und die es mit seinen schwachen
Kräften tun kann?
Es war ein schöner Tag, der 14.
Juni 1958, als die Hangweide eingeweiht wurde. Viele Reden wurden gehalten, es
wurde Dank gesagt und Glück gewünscht. Aber die schönste Rede hielt jenes Kind,
das, eben in seine neue Heimat geführt, vor Staunen keine anderen Worte
herausbrachte als diese:
»Do bleib i, do g’fällt’s mir!«
NACHWORT
Jede Anstalt der Inneren
Mission für geistig Behinderte und Epileptische hat ihre eigene Geschichte und
ihr besonderes Gepräge. Aber in allen Anstalten lebt dieselbe menschliche Not, doch
auch die gleiche im Geiste Jesu Christi helfende Liebe. Und sie wirkt auch
heute noch Wunder: Bedauernswert elende Menschen führen ein fröhliches,
dankbares Leben; verschüttete geistige Kräfte regen und entfalten sich, und
viele, die einem nutzlosen Dahinvegetieren verfallen zu sein schienen, lernen
brauchbare Arbeit tun und sich im Leben »draußen« bewähren. Allen aber wird
kund, daß sie nicht Stiefkinder des Schicksals, sondern Gottes geliebte Kinder
sind.
Davon bewegt hat der Verfasser,
nach gründlichem Quellenstudium, dieses Buch über die Anstalt Stetten und ihren
Auftrag in der heutigen Diakonie geschrieben. Die so anschauliche und packende
Darstellung will zugleich mit dem Leben und der Arbeit in allen ähnlichen
großen und kleinen Anstalten der Inneren Mission bekannt machen und dazu
beitragen, daß die Scheu, die manchen vor dieser gewiß eigenartigen, aber sehr
lebendigen Welt erfüllt, überwunden werde. Vor allem aber will das Buch diesen
meist verachteten und verstoßenen Menschen zu ihrem Recht verhelfen, als
gleichberechtigte Bürger unseres Volkes und vollwertige Glieder der
christlichen Gemeinde anerkannt zu werden.
Lebensunwertes Leben? Immer
wieder wird aus angeblichem Mitleid gefordert, der Staat solle ihre schmerzlose
Tötung freigeben. Wer gelesen hat, wie sich »Euthanasie« in grausame
Unbarmherzigkeit verkehrte, weiß: Barmherzigkeit an diesen Menschen tut nur,
wer bereit ist, ihnen ein Leben zu ermöglichen, das sie froh und zufrieden
macht. Möge der Ruf zu solcher Bereitschaft auch bei uns in Deutschland immer
lauter erschallen und Gehör finden! ludwig schlaich
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