Das Schloß der blauen Vögel
Orientzigaretten, ein goldenes Feuerzeug und einen Abgabezettel für eine Reinigung in Stuttgart. Am unverständlichsten war, daß der Zündschlüssel im Schloß steckte.
»So ein Leichtsinn«, sagte der Straßenmeister. »Typisch Frau! Der kann man jetzt den Wagen klauen mit allem Drum und Dran …«
»Oder sie ist geklaut«, sagte der Bauer. »Denk an die Berichte in der Zeitung …«
»Mal bloß den Teufel nicht an die Wand!« Der Straßenmeister bekam rote Backen, rief seine Dienststelle an und fragte, was er tun solle.
Zehn Minuten später war der Abschnittsleiter der Autobahnpolizei mit zwei weißen Porsche an der Ausfahrt und hieb wütend auf das unschuldige Blech des kleinen Sportwagens. »Eine Sauerei!« brüllte er. »Ausgerechnet in meinem Abschnitt! Es ist nicht zu sagen …«
Zwanzig Minuten vor elf hatte Kriminalrat Quandt die Meldung aus Emmendingen auf seinem Schreibtisch liegen. Die Sonderkommission tagte gerade wieder. Das Fernsehbild am Vorabend hatte einen grandiosen Erfolg gehabt. Sassner mußte mindestens zwanzigmal existieren. Überall war er gesehen worden: Am weitesten nördlich in Lübeck, am weitesten südlich bei Passau.
»Jetzt hat es eingeschlagen!« sagte Quandt heiser, als er die Meldung laut verlesen hatte. »Sassner hat seine eigene Frau gefangen. O mein Gott, was hat sie sich bloß gedacht?« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und verlangte ein Glas eiskaltes Wasser.
Im Zimmer der Sonderkommission lag lähmende Stille. Niemand beschimpfte die Polizei, die wiederum nichts gesehen hatte. Auch Polizisten auf schnellen Motorrädern können nicht überall sein. Zwei Autobahnen zu überwachen ist sowieso schon eine fast unlösbare Aufgabe.
»Was nun?« fragte der Stuttgarter Polizeichef. »Sollen wir die Presse groß einsteigen lassen? Sassner kann ja nicht in einer Höhle wohnen. Irgend jemand muß ihn sehen.«
»Wir blamieren uns unsterblich.« Kriminalrat Quandt stand vor der großen Gebietskarte Schwarzwald. »So verrückt es klingen mag, meine Herren: Ich habe jetzt einen Funken Hoffnung. Der Plan von Frau Sassner mag wahnsinnig sein, aber – entweder gelingt es ihr, Sassner durch ihre Gegenwart lammfromm zu machen, und sie bringt ihn uns heran wie einen gezähmten Bären, oder …«
Er schwieg und sah in die Runde. Wenn auch niemand den Satz vollendete, jeder kannte das Ende, das keiner aussprach. In aller Augen war es zu lesen.
Ulrich Quandt wandte sich ab und griff nach dem Glas Wasser.
Die Rückkehr Dr. Kellers nach Hohenschwandt wurde mit Gebrüll begrüßt.
Aber nicht Angela jubelte vor Freude oder Professor Dorian zeigte einen ungewöhnlichen Ausbruch … die Kranken brüllten im Chor, als der Wagen am Eingang hielt. Sie hingen aus den Fenstern, kreischten und gestikulierten, und als Dr. Keller ausstieg, begannen sie, ihn mit zerbrochenen Stühlen und Tischbeinen zu bewerfen.
Dr. Keller rannte unter das Vordach, ohne getroffen zu sein. Dafür prasselten auf den Wagen ganze Einrichtungsteile. Die tobenden und schreienden Kranken waren sämtlich von der Station I. Sie saßen auf den Fensterbänken und Balkonen und empfingen jeden weißen Kittel, der sich vom Ärzte- oder Schwesternhaus her näherte, mit ohrenbetäubendem Geheul.
»Was ist denn hier los?« schrie Dr. Keller den jungen Assistenzarzt Dr. Faber an, der im Sprintertempo vom ›Tierbau‹ herüberkam und in einen Hagel von Kartoffeln geriet. »Wo ist der Professor?«
Dr. Faber lehnte sich schwer atmend an die Wand. Aus der Pförtnerloge, wo sonst der Portier Zanglmeier residierte, grinsten ihnen drei verzerrte Gesichter entgegen. Die Männer hatten die Telefonzentrale kurz und klein geschlagen und hockten nun in dem gläsernen Pförtnerkasten, Stuhlbeine in der Hand. Es waren Kranke in Schlafanzügen. Als Keller zu ihnen hinblickte, hockte sich gerade einer von ihnen hin, zog die Hose herunter und verwechselte die Zimmerecke mit einer Toilette.
»Los! Hinein! Was stehen Sie hier herum?« schrie Dr. Keller, ehe er eine Antwort bekam. Aber Dr. Faber hielt ihn mit beiden Händen fest.
»Um Gottes willen, nein …«
Dr. Keller ließ sich zurückreißen. »Das … das ist ja ein Aufstand der Kranken«, keuchte er. »Wie kam denn das?«
»Es begann gestern nachmittag, ganz harmlos zunächst. Eine Delegation von Station I erschien unangemeldet beim Chef und verlangte Ausgang und Frauen …«
Dr. Keller wischte sich mit zitternden Händen über das Gesicht. Aus den Fenstern der Station I
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