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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie es gesagt hatte:
    »Ist Ihnen noch nicht der Gedanke gekommen, daß ich Sie töten könnte?«
    Ilse Trapps überlief es plötzlich wie ein Eisschauer. Sie packte Luise am Handgelenk, zerrte sie aus dem Zimmer, über den Flur und stieß sie in den Raum, in dem die drei Betten standen. Dann warf sie die Tür zu und schloß ab.
    Während Luise sich erschöpft auf das nächststehende Bett warf und eine ganze Zeit brauchte, um zu verstehen, daß sie noch lebte, rannte Ilse Trapps durch das Haus und suchte Gerd Sassner. Sie fand ihn in seinem winzigen Turmzimmer. Dort saß er am Fenster und starrte hinaus in die Nacht.
    »Komm …« sagte sie in dem girrenden Ton, der Sassner anzog wie ein Magnet. »Komm hinunter zu mir. Ich weiß doch, daß du mich brauchst.«
    Sassner antwortete nicht. Er griff zur Seite, hob ruckartig den Arm und schleuderte etwas weg. Knapp neben Ilses Kopf polterte ein großes Messer an die Wand. Sie duckte sich und tauchte in der Falltür unter.
    »Ich warte auf dich …« rief sie, heiser vor Angst und Schrecken.
    Sassner rührte sich nicht. Er starrte über das Dach in den Nachthimmel. Dort glitt im fahlen Licht eines kaum sichtbaren Mondes eine Wolke über den Wald. Und diese Wolke zog sich zusammen, formte sich zu einer Masse, bekam Gestalt und Sinn, wurde ein Gesicht, der Kopf einer Frau mit blauen Augen und einem verzeihenden Lächeln.
    »Luise …« stöhnte Sassner und hieb mit der Stirn gegen das Fensterbrett. »Luise … warum bis du so weit … so weit …«
    Zwei Tage geschah nichts.
    Luise blieb in ihrem Dreibettzimmer eingeschlossen, wurde von Ilse Trapps verpflegt und bekam auf ihre Fragen keine Antworten. Gerd Sassner ließ sich nicht sehen, aber sie hörte ihn ab und zu draußen im Gang an ihrer Tür vorbeigehen. Ein paarmal hämmerte sie mit den Fäusten gegen das Holz und schrie: »Gerd! Gerd!«, aber Sassner reagierte nicht.
    Am zweiten Tag versuchte sie, die Klappläden zu öffnen, aber der Riegel war durch ein Vorhängeschloß gesichert. Sie zerrte daran, versuchte, die Schrauben aus den Holzbrettern zu reißen, und gab es schließlich auf. Ilse Trapps überraschte sie bei dieser Arbeit und lachte höhnisch. Minuten später kam sie zurück, zerrte Luise ins Bett und band sie dort an.
    »Anordnung des Chefs«, sagte sie triumphierend. »Er liebt keine aufsässigen Kranken.«
    »Ich möchte ihn sprechen!«
    »Wenn ihm danach zumute ist, wird er von allein kommen. Im Augenblick ist er damit beschäftigt, mich zu lieben.« Sie wiegte sich in den Hüften und konnte den tiefen seelischen Schmerz nachempfinden, den Luise jetzt ertragen mußte. Das tat ihr gut, sie pfiff ein fröhliches Lied und setzte sich auf die Bettkante. »Sag ehrlich, du hältst mich auch für verrückt, was?«
    »Nein! Sie sind das Scheußlichste, das die Natur hervorgebracht hat.«
    »Vielleicht. Ich fühle mich wohl dabei.« Ilse Trapps hob die Schultern. »Was verstehst so eine wie du von Menschen wie wir? Du hast einen Vater gehabt, dem du alles sagen konntest, du hast eine Mutter gehabt, die nachts an deinem Bett saß, wenn du krank warst. Du hast nie um eine Scheibe Brot betteln müssen oder das Gefühl gehabt: Wenn du fressen willst, mußt du erst schwer dafür schuften …«
    »Nein.«
    »Mein Vater, so hat man mir gesagt, hat sich totgesoffen. Er lag eines Morgens tot neben dem Misthaufen. Eine schöne Geste, denn da gehörte er auch hin. Meine Mutter gab mich zu Onkel Johann, ihrem Bruder, aufs Land. Ich habe sie nie wieder gesehen. Onkel Johann sagte mir, sie sei an Schwindsucht gestorben. Also blieb ich im Dorf. Als ich fünfzehn Jahre alt war, sah ich aus wie zwanzig. Seit Monaten merkte ich, daß Onkel Johann um mich herumschlich wie ein Kater. Eines Abends, ich badete gerade im Holzzuber, kam er herein, dieses Schwein, ohne Hose, das Hemd hochgerollt. Ich schrie, ich schlug um mich, ich brüllte und biß und trat, aber Onkel Johann konnte einen Bullen in die Knie zwingen, was war da schon ein fünfzehnjähriges Mädchen? Nachher streichelte er mich, nannte mich sein Hühnchen und gab mir fünf Mark. Das war mein erstes selbstverdientes Geld. Von da ab schlief ich bei Onkel Johann, ließ mich bezahlen und holte mir neue Kundschaft aus dem Wirtshaus, wenn Onkel Johann zum Viehhandel wegfuhr oder Ferkel einkaufte. Eines Tages kam Egon Trapps und heiratete mich, nachdem ich ihm vorgeweint hatte, er habe mir die Unschuld genommen.«
    »Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte Luise.
    »Ich

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