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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dir deinen idiotischen Mann für ein paar Wochen weggeschnappt habe?«
    »Nein. Du bist das Gemeinste, was es auf dieser Welt gibt!«
    »Danke!« Ilse Trapps sah sich lauernd um, wie ein gefangener Fuchs, der in der Falle einen Ausweg sucht. Aber hier gab es keinen anderen Ausgang als die Tür; die Fenster waren verriegelt und die Schlüssel zu den Schlössern hatte Sassner in der Tasche.
    Mit einem Schrei warf sich Ilse auf Luise. Sie bohrte die Fingernägel in Luises Schulter, fiel mit ihr gegen die Wand und versuchte dann, das Gesicht ihrer Gegnerin zu zerkratzen.
    Noch nie in ihrem Leben hatte Luise sich mit jemandem geschlagen oder gerauft. Sie hätte es auch nie für möglich gehalten, daß sie jemals in die Lage kommen könnte, sich mit Händen und Füßen zu wehren oder jemanden zu verwunden. Jetzt aber war sie von einer Stärke und Kälte, vor der sie selbst erschauerte.
    Sie warf Ilse Trapps zurück, zog sie an den langen Haaren durchs Zimmer und trat gegen die Schienbeine, daß sie aufheulte und sich dann kreischend auf den Boden fallen ließ. Dort riß sie sie wieder hoch, stieß die Fäuste gegen ihren Kopf, immer und immer wieder, dumpf klatschend und hart auf Knochen prallend, bis ihr die Finger schwollen und die Fäuste wie an heißem Öl versengt brannten.
    Am Ende des Kampfes war Ilse Trapps ohnmächtig. Mit letzter Kraft schleifte Luise sie auf eins der Betten, schnallte Ilse an, wie diese früher ihre Opfer angeschnallt hatte, und verließ schwankend das Zimmer.
    Sassner war in seinem Turmzimmer und saß am Fenster. Wie ein Eisbär wiegte er den Kopf hin und her, einem Pendel gleich, das weit ausschlägt. Erschüttert blieb Luise in der Falltür stehen und beobachtete ihren Mann. Mitleid mit diesem menschlichen Wrack erfaßte sie, und gleichzeitig entschloß sie sich, nicht wegzugehen, zum nächsten Haus, zum nächsten Menschen zu laufen und die Polizei zu holen.
    Er wird niemanden mehr morden, dachte sie. In ein paar Tagen wird alles vorbei sein, ohne Handfessel, ohne Gitter, ohne die geschlossene Anstalt. Man wird ihn nicht abführen wie ein reißendes Tier. Er wird hier, in seinem Schloß der blauen Vögel, an der Auflösung seines Gehirns sterben. So lange werde ich bei ihm wachen, seine Hände halten und mit ihm sprechen, soweit er mich hört und versteht.
    Dann werde ich alle Fenster aufreißen, die Sonne hereinlassen und das Grauen verwehen lassen. Und den Kindern werde ich erzählen: Euer Papi ist damals wirklich ertrunken im See. Sie haben es jetzt rekonstruiert. Papi ging spazieren, glitt im nassen Gras aus und rutschte in den See. Sie werden es glauben, die Kinder, und sie werden ihren Papi so im Gedächtnis behalten, wie er immer war: fröhlich, gütig, ein Kamerad.
    »Wie geht es dir?« fragte Luise. Sassners Kopf pendelte weiter hin und her.
    »Ein Wunder wird geschehen, siehst du es nicht?« antwortete er dumpf. »Ich lade mich mit Energie auf. Ich reibe meinen Kopf an der Luft und lade mich auf. Wenn alle Batterien geladen sind, werde ich in den Himmel fliegen! Triumphal wird das sein! Elementar! Ich werde das Weltall zu meiner Heimat machen!«
    »Du wirst in den Himmel kommen«, sagte Luise sanft. Sie kletterte in das enge Turmzimmer und setzte sich neben ihren Mann auf den Schemel. »Gib mir deine Hände.«
    »Warum?«
    »Ich will, daß du meinen Strom mitnimmst in die Ewigkeit.«
    »Das ist gut!« Sassner sah sie aus glänzenden Augen an. Er ergriff ihre Hände und lächelte verzückt. »Wirklich, ein heißer Strom fließt in mich über. Wie herrlich, wie herrlich! Ich fühle eine ungeheure Kraft! Was ist das? O Himmel, was ist das?«
    »Das bin ich, Gerd …«
    »Das bist du …«
    So saßen sie eine Zeitlang stumm nebeneinander, Hand in Hand, wie ein Liebespaar. Vor ihnen rauschte der Wald, die Sonne ging blutrot unter.
    »Weißt du noch«, sagte Luise leise, »wie wir zusammen am Waldrand gesessen haben … damals, vor zwanzig Jahren? Ich war siebzehn Jahre alt, und du erzähltest mir von deinem Studium, vom Krieg, von deinen Plänen. Für zwanzig Mark hattest du vier amerikanische Zigaretten gekauft. Ich hatte Schokolade mitgebracht, eingetauscht gegen drei Handtücher. Der Wald rauschte wie jetzt, die Sonne ging unter wie einst, und ich sagte: ›Ich muß jetzt gehen. Meine Eltern denken, ich sei bei meiner Freundin. Ich darf nicht bei Dunkelheit nach Hause kommen.‹ Und du sagtest: ›Noch ein paar Minuten … bitte … ich muß dir etwas sagen.‹ Und ich sagte: ›Dann

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