Das Schloß der blauen Vögel
bleibt ihm gar kein anderer Ausweg. Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, ist er ein toter Mann. Als Mediziner und Wissenschaftler. Das weiß er auch. Und er hat keine Chance, dieser Anklage zu entgehen.«
»Sind Sie so sicher, Herr Popitz?«
»Völlig sicher.« Professor Popitz lachte kurz. »Was will er machen? Gegen ihn steht eine Front von Gegengutachtern. Was kann er ins Feld führen? Amerikanische Forscher! Ich bitte Sie, Herr Kollege. Amerikaner! Wir alle wissen doch, daß die Experimente da drüben nahe am Gangstertum marschieren. Das einem deutschen Gericht geschickt gesagt, und Dorian hat keinerlei Möglichkeiten, zu überzeugen.«
»Mir mißfällt, daß er alle eingeladen hat, die seine Gegner sind.« Haberstock blieb stehen. »Sogar Kollege Abendroth, der öffentlich gegen Dorian polemisierte, ist gekommen. Das hat etwas zu bedeuten.«
»Warten wir es ab.« Popitz zündete sich eine Zigarette an. »Vielleicht ist es das letzte Gebrüll des Löwen, bevor er verendet.«
Am Vormittag des nächsten Tages saßen zwanzig international bekannte Neurochirurgen und Hirnforscher im kleinen Vortragssaal vor einer großen weißen Leinwand. Im Hintergrund war ein Epidiaskop aufgebaut, hinter dem Dr. Kamphusen stand. Der dickliche Arzt war bester Laune und musterte die Spitzen der Medizin, die kleinen Könige in ihren Kliniken und Universitäten, mit einem fast verächtlichen Blick. Dr. Keller verteilte die neueste Schrift Professor Dorians.
Die Gäste bekamen starre, abweisende Mienen. Der erste Angriff war erfolgt. Dorians große Abhandlung über seine Experimente mit Ribonukleinsäure, kurz RNS genannt, die Chemikalie, die eine Intelligenzübertragung möglich macht. Der Beginn der umstrittenen Hirnchemie, die den Weg öffnet, mittels Injektionen Intelligenzgrade und Merkfähigkeiten zu schaffen, die früher nur als ›angeboren‹ bezeichnet wurden.
»Er will uns provozieren«, flüsterte Professor Abendroth in die Runde. »Einfach provozieren! Er soll sein blaues Wunder erleben!«
Er legte die Monatsschrift, in der Dorians großer Bericht veröffentlicht war, achtlos unter seinen Stuhl und setzte sich kampfeslustig zurecht. Als Dorian den kleinen Saal betrat, begrüßte ihn nicht wie üblich akademisches Füßescharren, sondern feindliche Stille. Er hatte es nicht anders erwartet.
»Meine lieben Herrn Kollegen«, begann er seinen Vortrag. Es tat ihm gut, so zu sprechen. Er sah, wie die meisten seiner Gäste abweisende Mienen bekamen. Für sie war er kein Kollege mehr. Nur die Höflichkeit verhinderte, daß die Mehrzahl aufstand und jetzt schon den Saal verließ. »Ich habe Ihnen einige bemerkenswerte Dinge zu zeigen, die eine Revolution in der Hirnforschung darstellen. Bevor ich aber beginne, im einzelnen über meine Experimente zu sprechen, möchte ich noch ein Diapositiv zeigen, eine Fotokopie, die – so denke ich – eine gute Grundlage für unsere weiteren Diskussionen schafft.«
Dorian nickte Angela zu. Sie knipste das Licht aus. Im gleichen Augenblick erschien ein großes leuchtendes Viereck auf der Leinwand. Dr. Kamphusen hatte das Dia noch nicht eingeschoben. Dorian trat in den Lichtkreis.
»Es geschehen in der Welt merkwürdige Dinge«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Viele von ihnen könnte man hinnehmen mit dem Fatalismus, ohne den man einfach nicht leben kann. Aber die Gleichgültigkeit hört dort auf, wo die Gesundheit des Menschen auf dem Spiel steht, wo der Fortschritt der Medizin bewußt gebremst wird, weil mit ihm andere Forschungen als unwahr in sich zusammenbrechen oder korrigiert werden müßten. Ich weiß, niemand widerruft gern etwas, was er jahrzehntelang gelehrt hat, was Tausende von Studenten mitgenommen haben als letzte Erkenntnis, worüber man dicke Bücher schrieb und womit man sich einen internationalen Namen machte. Aber leider ist es so, meine Herren, daß die Forschung jetzt Wege geht, die früher als unbegehbar betrachtet wurden. Wenn ich Ihnen sage, daß man in zehn oder zwanzig Jahren oder noch früher Gehirne verpflanzen kann, dann lachen Sie mich aus.« Dorian sah in der ersten Reihe Dr. Hugenbeck von der bayerischen Ärztekammer sitzen. Hugenbeck grinste ungeniert. »Wenn ich Ihnen aber jetzt mein Diapositiv zeige, so ist das etwas, worüber man nicht mehr lachen kann, sondern was ein Weinen wert wäre. Bitte …«
Dorian winkte Dr. Kamphusen zu. Langsam schob dieser das Dia ein. Groß und leuchtend erschien auf der Leinwand der Brief des Krankenpflegers
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