Das Schloß der blauen Vögel
Leopold Wachsner.
Dorian lehnte sich an die Wand. Er sah im Widerschein der Leinwand die Gesichter in der ersten Stuhlreihe. Ilmenau … Abendroth … Haberstock … Masken, starr und steinern. Er ließ das Dia so lange auf der Leinwand, bis man den Brief viermal hätte lesen können, dann flammte das Deckenlicht wieder auf und das Dia erlosch.
»Haben die Herren Kollegen einige Fragen?« sagte Dorian milde.
»Danke.« Professor Abendroth, stillschweigend als Sprecher gewählt, erhob sich abrupt. »Ich glaube, daß die Herren nach diesem Kurzvortrag auf weitere Demonstrationen verzichten können. Guten Tag.«
Mit einer Eile, die eigentlich nur Schüler zeigen, wenn die Pausenglocke schellt, verließen die zwanzig Medizinpäpste den kleinen Saal. Schon eine Viertelstunde später fuhren die ersten Wagen wieder fort. Weder Dr. Keller noch Dr. Kamphusen verabschiedeten die Herren. Sie erwarteten es auch nicht. Zurück blieb nur Dr. Hugenbeck. Er hatte die undankbare Aufgabe, mit Dorian zu verhandeln.
Dr. Keller führte ihn ins Chefzimmer. Dort lief er wie ein gefangenes Tier auf und ab, bis endlich Dorian erschien. Freundlich, elastisch, ein Sieger, der seinen unsichtbaren Lorbeer sichtbar werden läßt.
»Ich habe Sie im Kasino beim Essen vermißt, lieber Hugenbeck«, sagte Dorian burschikos. »Es gab vorzügliche Kohlrouladen!«
»Mir ist der Appetit abhanden gekommen.« Dr. Hugenbeck legte die Hände auf den Rücken. Er kam sich vor wie ein unartiger Schuljunge, der vor dem Direktor beichten muß.
»Ihnen? Aber wieso denn? Bei den anderen Herren war es wahrscheinlich … ich habe erst gar nicht für sie mitkochen lassen. Aber Ihre Portion wurde kalt.« Dorian setzte sich und bot Dr. Hugenbeck einen Sessel an. »Sie kommen doch sicherlich, um mir den Termin der Schließung von Hohenschwandt mitzuteilen. Warum dann so erregt? Es ist doch eine schöne Aufgabe …«
»Herr Professor.« Dr. Hugenbeck setzte sich und faltete die Hände zwischen den Knien. »Sie wissen doch so gut wie ich, daß man den Brief des Krankenpflegers als Auswuchs eines kranken Gehirns hinstellen wird.«
»Mit genau dieser Argumentation habe ich gerechnet. Mein Oberarzt Doktor Kamphusen war aber inzwischen in Bad Wiessee und hat das, was Poldi schreibt, bestätigt bekommen und mitgebracht. Der schnelle Aufbruch der Herren verhinderte leider die Vorführung weiterer interessanter Dokumente.«
»Und was wollen Sie damit unternehmen?«
»Ich betrachte sie als eine vorzügliche Beweisführung.«
»Und wenn es gar keinen Prozeß gibt?«
»Dann gäbe es genug Zeitschriften, die sich über dieses Material herstürzen würden.«
»Das wollen Sie tun?«
»Die Haltung der Herren zwingt mich, die volle Wahrheit zu sagen.« Dorian lächelte hintergründig. »Ich nehme doch nicht an, lieber Hugenbeck, daß Sie die Wahrheit als etwas Unanständiges betrachten.«
»Es gäbe einen Skandal.«
»Habe ich ihn inszeniert?«
»Wir sollten vernünftig miteinander reden.«
»Ich glaube, das tun wir schon die ganze Zeit.«
Dr. Hugenbeck sah auf seine gefalteten Hände. »Was wollen Sie eigentlich, Herr Professor?«
»Nichts! Ich will in Ruhe gelassen werden, meine Klinik wie bisher führen, Kranke heilen oder bessern, meine Forschungen vorantreiben und medizinisch und chirurgisch das tun, was ich vor mir und Gott verantworten kann. Beachten Sie, daß ich mich an die erste Stelle setze, denn ich operiere, nicht Gott. Aber in der Verantwortung ist er allgegenwärtig. Und eins«, Dorians Stimme hob sich, »ich will endlich diesem Neid und diesem widerwärtigen Unfehlbarkeitsdenken in der Medizin ein Ende bereiten!«
Dr. Hugenbeck lehnte sich zurück. »Sie haben bei sich selbst angefangen?«
»Wie zart Sie das ausdrücken! Sie meinen den Fall Sassner, nicht wahr?«
»Sie haben aus dem Mann eine Bestie gemacht. Gut, es hätte sein können, daß er das durch sein zerstörtes Hirn auch später von selbst geworden wäre … aber so hat Ihre Operation es getan. Eine Operation unter Zeugen, von denen keiner diesen Eingriff gewagt hätte. Sie standen damals allein mit Ihrer neuen Technik, Hirnfelder umzukoppeln. Sogar Ihr Schwiegersohn war dagegen. Sie taten es trotzdem … als König in Ihrem Reich! Und jetzt gehen Sie mit Lanze und Schwert gegen dieses Unfehlbarkeitsdenken vor?«
»Ja!« Dorian nickte fest. »Ich möchte den Außenseitern der Medizin eine reelle Chance geben.«
»Sie reden also wieder pro domo!«
»Ich werde der Rammbock sein, der die
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