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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kübelwagen, wir warten auf ihn, denn er kommt von der Division zurück … und in dem Wagen sitzt Leutnant Benno Berneck. Hallo, Benno. Guten Tag.«
    »Guten Tag!« Sassners Stimme war klar und tief wie immer. Und doch war sie verändert. Sie wirkte straffer, jünger, forscher. »Aber das ist ein Irrtum. Ich war bei der Division. Und es war nicht in Rußland … es war in Greifenberg in Pommern. Der 4. März 1945 … Bärwalde war gerade von den Russen erobert, Danzig wurde abgeschnitten … wir lagen einer Übermacht an Panzern und Artillerie gegenüber, wir erwarteten auch einen Stoß auf Greifenberg.
    Seit Tagen liegen wir unter Beschuß, unsere Beobachter sehen geballte Massierungen sowjetischer Truppen … die Bevölkerung flüchtet … mit Handkarren, auf Bauernwagen, zu Fuß … Frauen und Kinder und Greise … alle Straßen sind verstopft … sie wollen nach Küstrin und dann weiter nach Berlin. Berlin ist sicher, denken sie alle … nach Berlin kommt der Russe nicht. Dort sitzt ja der Führer … und der Führer wird niemals zulassen, daß ein Russe nach Berlin kommt … Man spricht von einer neuen Armee, die den Iwan wieder zurückwirft, weit über die Weichsel zurück … Ich war bei der Division. Lagebesprechung. Wir sollen uns zurückziehen zum Stettiner Haff, wenn der Russe nicht aufzuhalten ist. Stettin soll eine Festung werden, wie Königsberg.«
    »Richtig! Greifenberg.« Dorian legte seine Hand auf die schlaffe Hand des Hypnotisierten. Er übernahm jetzt die Rolle des Leutnants Benno Berneck. Dr. Keller am Tonband kaute an der Unterlippe. Man ist ein abgebrühter Arzt, dachte er. Man lebt seit Jahren mit Geisteskranken zusammen. Aber immer wieder erregt mich dieser Spaziergang in der Seele eines anderen Menschen. Es ist faszinierend.
    »Was gibt's Gerd?« fragte Dorian. Sassner hob die Schultern.
    »Alles Scheiße, Benno. Nach vorn. Brückenkopf halten. Jede Stunde Verzögerung ist wichtig. Jede Stunde bringt Zeit zum Aufbau tiefer gestaffelter Linien.«
    »Nun sind wir vorn, in der Hauptkampflinie …«
    »Ja. Greifenberg liegt hinter uns. Der Bunker ist Mist, Benno! Zu dünne Balkendecke. Wenn die einen Volltreffer draufsetzen …«
    »Jetzt kommt der Russe! Er greift an.«
    »Ja, verflucht! Panzer und Stalinorgeln! Benno, raus! Sie umgehen uns … sie stoßen auf Greifenberg zu. Sie treiben einen Keil genau auf die Stadt zu … Benno!«
    Es war ein Aufschrei. Sassner fuhr hoch, sein Körper zuckte, wild schlug er mit den Armen um sich. »Benno, wo bist du?« Er hustete und wand sich auf der Liege. »Benno … gib doch Antwort …« Sassner streckte sich keuchend. »Jetzt sind wir im Eimer, Benno. Ich war vorn … der Ausgang ist weg … Wir sind verschüttet. Benno, Junge, nun wein doch nicht … sie graben uns schon noch aus … keine Angst … die vergessen uns nicht …«
    Dorians Gesicht war plötzlich kantig. Das große Geheimnis wurde ihm offenbar, das Rätsel in Sassners Seele gab es nicht mehr.
    Verschüttet. Lebendig begraben. Miterleben müssen, wie der Sauerstoff immer weniger wird, wie man erstickt, wie es kein Entrinnen gibt. Tot schon und doch noch lebend …
    Was ist damals passiert, in dem verschütteten Unterstand bei Greifenberg? An jenem 5. März 1945, als die Russen mit zwei Keilen vorstießen, tief nach Pommern hinein und dann die untere Oder erreichten? Welches Drama spielte sich zwischen Benno Berneck und Gerd Sassner ab, diesen beiden jungen Offizieren, die nun begraben unter der Erde hocken, um einen Kerzenstummel sitzen, obgleich sie wissen, daß die winzige Flamme viel, viel köstlichen Sauerstoff verbraucht. Aber sie können nicht im Dunkel leben … sie müssen sich sehen, sie müssen die Grenzen ihres Grabes erkennen, sie müssen einen Schimmer Licht um sich haben, um nicht sofort wahnsinnig zu werden …
    »Der Sauerstoff wird knapp …« sagte Professor Dorian eindringlich. Der letzte Schritt ins Unbekannte war getan. »Ich bekomme kaum noch Luft. Gerd … ich will nicht ersticken. Ich will weiterleben. Ich bin noch so jung …«
    Sassner fuhr wieder hoch. Er saß jetzt, seine Augen weiteten sich. Plötzlich riß sein Mund auf, es war, als zerplatze sein ganzes Gesicht.
    »Benno!« brüllte er. »Benno! Tu es nicht! Benno! Sie holen uns noch … Benno! Was willst du mit dem Stiefel? Gib den Stiefel her … du kannst doch nicht den Stiefel auffressen … Bist du denn verrückt …« Sassner keuchte. Seine Arme schlugen um sich. Offensichtlich kämpfte und rang er

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