Das Schloß der blauen Vögel
diesem Benno Berneck. Er und Ihr Mann wurden zusammen verschüttet …«
»Gerd hat nie darüber gesprochen. Wenn er doch bloß etwas gesagt hätte …« Luise wandte den Kopf zurück. Sassner lag auf dem Bett, groß, breit, stark, ein gutaussehender Mann, erfolgreich und klug … und da ist ein Erlebnis, das sich tief in ihn eingefressen hat, das ihn aushöhlt, das ihn seelisch zerstört, und keiner merkt es, bis es aus ihm herausbricht wie aus einem Vulkan.
»In einer Stunde wird alles vorbei sein«, sagte Dr. Keller. »Aber Sie müssen jetzt mitspielen, gnädige Frau. Sie müssen so natürlich und unbeteiligt sein, als habe Ihr Gatte wirklich nur ein Nickerchen gehalten und wache jetzt auf …«
»Ich will alles tun, alles, alles … wenn er nur wieder gesund wird.«
Dr. Keller drückte Luise die Hand und verließ dann das Zimmer.
Nach einer Stunde klingelte der Wecker. Luise zuckte zusammen. Dann nahm sie eine Zeitschrift und tat so, als lese sie. Sie saß in der offenen Balkontür, die Beine übereinandergeschlagen.
Gerd Sassner erwachte, dehnte sich, sah auf die Uhr und klatschte in die Hände. »Ich habe ja geschlafen …«, sagte er.
»Und wie!« erwiderte Luise hinter der Zeitschrift. »Schlafmütze!«
»Das bin ich! Aber jetzt fühle ich mich pudelwohl.« Sassner sprang vom Bett, reckte sich noch einmal und ging nebenan ins Bad. Luise hörte Wasser laufen, prusten – er wusch sich das Gesicht –, das Rascheln eines Handtuchs … dann kam er zurück, gekämmt und erfrischt, korrekt gekleidet, wie einem Jungbrunnen entstiegen.
»Einen Augenblick, Rehlein«, sagte er, trat schnell zu ihr und küßte sie auf die Augen. Sie ließ die Zeitschrift sinken und sah ihn glücklich an. »Vor dem Mittagessen gehen wir noch etwas spazieren. Der Tag ist zu schön, um ihn zu verschlafen. Ich habe nur noch schnell etwas zu erledigen …«
Er verließ das Zimmer mit festen Schritten. Luise rannte auf den Balkon. Gleich mußte nebenan das Fenster aufspringen … in wenigen Sekunden flog der alte Schuh hinaus in den Park.
Und alles, alles war wie früher. Nur eine Wolke war vorbeigezogen …
Zehn Minuten später schellte bei Dr. Dorian das Telefon. Dr. Keller und Dr. Kamphusen waren ebenfalls im Zimmer. Sie alle warteten auf diesen Anruf.
»Na also«, sagte Dorian zufrieden.
Er hob ab, Keller griff nach dem zweiten Hörer.
Luise Sassner. Ihre Stimme schwankte.
»Er hat den Schuh in unser Zimmer geholt und trinkt mit ihm Orangensaft. Helfen Sie, Herr Professor, helfen Sie …«
Mit versteinertem Gesicht legte Dorian auf.
»Die Hypnose-Therapie ist mißlungen.« Sein Blick richtete sich auf seinen zukünftigen Schwiegersohn. Dr. Keller wich dem Blick aus. Ihn schauderte vor der stummen Frage in diesen blauen Augen. Und er kannte die Frage. Dr. Kamphusen war es, der ehrgeizige, dickliche, kritiklose Bewunderer Dorians, der sie aussprach.
»Operation? Herr Professor, wenn Sie Ihre neue Methode der Rindenfelder-Blockade in diesem Fall …«
Dr. Keller hörte den Schluß nicht mehr. Er war hinausgelaufen.
Ein Arzt darf Gott helfen, dachte er, aber er soll ihn nicht versuchen!
Das Gehirn ist das letzte Heiligtum der Medizin …
Noch einmal versuchte es Professor Dorian mit einer großen Kur: Er versetzte Gerd Sassner in einen vierzehntägigen Heilschlaf.
Luise durfte in dieser Zeit nach Hause fahren und sich um die Kinder, das Haus und die Fabrik kümmern. Was konnte sie in Hohenschwandt jetzt anderes tun als herumsitzen, ihren schlafenden Mann ansehen oder ruhelos im Park und den angrenzenden Bergwäldern Spazierengehen?
»Wir versuchen es noch einmal«, hatte Professor Dorian gesagt, bevor man Gerd Sassner auf den Dauerschlaf vorbereitete. »Eine Schlafkur ist die Wegbereitung für die psychische Behandlung. Es muß uns gelingen, auf diesem Weg eine Therapie anzusetzen. Ich befürchte allerdings …«
Er schwieg. Luise faßte nach seiner Hand, als müsse sie sich an ihm festhalten.
»Sagen Sie die volle Wahrheit, Herr Professor.«
»Ich befürchte, daß durch irgendwelche Ereignisse damals vor einundzwanzig Jahren auch das Hirn verletzt wurde. Es braucht nur ein Balken auf seinen Kopf gefallen zu sein, danach hat sich ein winziges Blutgerinnsel gebildet, das nun irgendwo sitzt und den ganzen Menschen verändert.«
»Nach soviel Jahren …?«
»Eins wissen wir jetzt sicher: Ihr Mann leidet an einer Schreckneurose, und zwar an einer Kriegsneurose, wie wir sie schon oft beobachtet haben. Diese abnorme
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