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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit Benno Berneck, wollte ihn zurückreißen. »Laß die Pistole liegen, Benno! Junge, beruhige dich doch! Benno –«
    Ein heller Aufschrei. Sassner sank zurück, streckte sich, lag wie tot. Dann weinte er, schluchzte haltlos und wand sich wie in Krämpfen.
    »Dann gruben sie uns aus …« sagte Dorian. Auf seiner Stirn perlte Schweiß und rann ihm über die Augen.
    »Ja …« keuchte Sassner.
    »Deutsche. Der Rückzug. Und Benno war tot. Er hatte sich erschossen.«
    »Er ist nicht tot. Sie trugen uns nebeneinander ans Licht. Ich habe seine Augen gesehen … sie lebten …«
    »Er ist tot …«
    »Wer sagt das?«
    »Ich. Ich bin Benno Berneck, und ich bin tot. Du bist jetzt ganz sicher, daß ich tot bin.« Die Stimme Dorians glitt über den noch immer zitternden Sassner. »Und auch der Stiefel ist begraben, mit mir, an meinen Füßen … er ist längst verfault … längst nicht mehr da … es gibt nur alte, zerrissene Schuhe, fremde Schuhe, die dich gar nichts angehen, die du wegwirfst, sobald du aus dem Schlaf erwachst … Hörst du … du wirfst den alten Schuh weg. Ich bin tot … Benno Berneck lebt nicht mehr … du wirfst alle alten Schuhe weg …«
    Sassner wurde ruhiger. Seine Lider fielen wieder zu, er schlief. Nur sein Herz hämmerte noch wild, die Nerven zuckten durch den ganzen Körper.
    Dr. Keller gab ihm eine Herzinjektion. Sein Gesicht war blaß. Dorian sah es trotz der künstlichen Dämmerung.
    »So wirken Kriege«, sagte er. »Nach über zwanzig Jahren bricht es wieder hervor. Denken wir an den Bomberkommandanten, der die erste Atombombe über Hiroshima auslöste. Er wurde irrsinnig. Sein Kopilot kam in die Trinkerheilanstalt. Tausende hat der Krieg seelisch zerstört, ohne daß man es sofort sieht. Und in Vietnam wird es ebenso sein und überall, wo das Grauen stärker ist als die menschliche Kraft, es zu verarbeiten.«
    »Und du glaubst, daß Sassner, wenn er wieder aufwacht, den Schuh wegwirft?«
    »Ich möchte es sehnlichst hoffen.« Professor Dorian faltete die Hände im Schloß. »Ich habe alles getan, um ihm die Erinnerung zu nehmen, ihm den richtigen Weg, die Wahrheit zu zeigen …« Er sah Sassner an, forschend, mit einer stummen Frage. Ist es gelungen? War es wirklich nur ein seelischer Schock? Hat ihn meine Kraft befreit? Oder werden wir ein böses Erwachen erleben? Sind in seinem Hirn Veränderungen aufgetreten, die niemand sehen kann, die keiner messen kann, die sich allen Untersuchungen entziehen? Ist hier wieder das große Tor ins Dunkel, wo unsere ärztliche Unwissenheit beginnt?
    »Sie werden noch eine Stunde schlafen«, sagte Dorian zu Sassner und legte ihm wieder die Hand auf die Stirn. »Ein Wecker wird klingeln, Sie springen auf, ziehen sich an, fühlen sich erfrischt und herrlich gesund, gehen ins Zimmer elf, nehmen den alten, dreckigen Schuh und werfen ihn einfach aus dem Fenster. Ihr Kopf ist leicht und frei … die Beine sind frei und leicht … die Arme … der ganze Körper. Sie können tief und herrlich atmen … in jeder Hinsicht fühlen Sie sich wohl … Sie werden die Augen öffnen, wenn der Wecker klingelt …«
    Luise Sassner wartete im Zimmer und starrte die beiden Pfleger an, die ihren Mann auf einer Trage hereinbrachten. Dr. Keller folgte ihnen, und auf ihn stürzte Luise zu.
    »Was ist mit ihm?« stammelte sie. »Schläft er? Ist er noch in Hypnose?«
    »Ja.« Dr. Keller zog einen Reisewecker auf, stellte die Uhrzeit ein und legte ihn auf den Nachttisch. Die beiden Pfleger hoben Sassner von der Trage ins Bett und entfernten sich wieder. »Ihr Gatte wird in einer Stunde geweckt. Tun Sie so, als habe er sich ausgeruht, seien Sie besonders freundlich zu ihm. Er wird sich zurechtmachen, ins Nebenzimmer gehen und den Schuh aus dem Fenster werfen. Rufen Sie uns sofort an, wenn er das getan hat. Wir wollen nicht in seiner Nähe sein, er soll ohne Beobachtung handeln. Und sprechen Sie nicht über das, was er tut.«
    Luise nickte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr Blick bettelte um Aufklärung. Wie krank ist er? Hat Professor Dorian ihn geheilt? Wird er wieder sein wie früher … unser lieber, fröhlicher Papi? Wird jetzt endlich alles vorbei sein … bitte, sprechen Sie doch ein Wort, Doktor. Bitte … bitte …
    Dr. Keller legte den Arm um Luises Schulter und führte sie hinaus auf den kleinen Balkon. In diesen Augenblicken ist ein Arzt wie ein Vater, auch wenn er soviel jünger ist.
    »Es ist ein schreckliches Kriegserlebnis, das ihn belastete, ein Erlebnis mit

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