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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Keller traf Professor Dorian allein im ›Tierbau‹ an, wo er vor dem herausgenommenen Gehirn saß und es anstarrte. Dr. Kamphusen hatte Klinikdienst. Es gab zwei Neuaufnahmen. Eine Schneiderin, die einen Schreibwahn hatte und mit roter Tinte unflätige Briefe an alle Regierungschefs der Welt schrieb, so auch an de Gaulle, dem sie empfahl, sich zum Wohle des französischen Volkes kastrieren zu lassen.
    Der zweite Patient war harmloser. Er war Handelsvertreter und fiel in letzter Zeit dadurch auf, daß er sich die Hosen verkehrt herum anzog. Mußte er auf die Toilette, so suchte und suchte er, fand nicht den Schlitz und schrie darauf gellend um Hilfe, man habe ihn bestohlen und alles sei weg …
    Dr. Kamphusen war voll beschäftigt.
    Professor Dorian sah auf, als Dr. Keller in den OP des ›Tierhauses‹ kam. In den letzten Tagen lag etwas Unheilbringendes in der Luft zwischen ihnen. Noch waren keine Worte gefallen, aber Dorian behandelte seinen zukünftigen Schwiegersohn wie einen jungen Assistenzarzt. Mußte operiert werden, so bestimmte er Dr. Kamphusen zur Assistenz. Dr. Keller blieb der Zimmerdienst, die Nachbehandlung. Eine deutliche Degradierung. Auch die Liebe zwischen Keller und Angela Dorian litt darunter.
    Es war seit acht Tagen wieder das erstemal, daß Dr. Keller den ›Tierbau‹ betrat. Fast wäre er zurückgeprallt, als er die gläserne Truhe und ihren Inhalt sah. Er brauchte nicht zu fragen, was es war. Dorian nickte kurz.
    »Es lebt«, sagte er nüchtern.
    »Ich sehe es.« Dr. Kellers Stimme war wie mit Rost belegt. »Von wem?«
    »Von Johann. Er hat das menschenähnlichste Gehirn. Es lebt seit vier Tagen auf dem Glasteller. Ich habe vorhin die Rindenfelder 1, 2, 3a und 3b durch Schock veröden lassen … Johann ist jetzt schmerz- und temperaturunempfindlich. Sieh dir die Kurven an. Man kann ein gestörtes Wesen regulieren.«
    Dr. Keller blieb an der Tür stehen. Das außerhalb des Körpers lebende Affengehirn faszinierte auch ihn. Welch ein Chirurg, dachte er. Wer macht Dorian so etwas nach? Wer kann ihm folgen auf diesem Weg in die Zukunft?
    Gewaltsam schüttelte er den Bann dieser Minuten ab.
    »Du willst Sassner also operieren?« fragte er hart.
    »Wenn alles andere versagt – ja!«
    »Und die Folgen? Ein winziger Fehler nur …«
    »Es wird keinen Fehler geben!«
    »Du bist kein Gott! Du bist als Mensch voller Fehler wie wir alle! Selbst einem Sauerbruch konnte ein Blinddarm sterben.«
    Professor Dorian lehnte sich zurück. Er regulierte etwas an der Sauerstoffzufuhr, und sofort gab es andere Kurven auf dem Kontrollschreiber.
    »Willst du nach München zurückgehen?« fragte Dorian.
    Dr. Kellers Gesicht verhärtete sich noch mehr. Das war deutlich.
    »Warum?« fragte er trotzdem.
    »Ich habe das Gefühl, unsere Wege trennen sich. Es ist schade um Angela.«
    »Wir lieben uns. Was hier geschieht, hat mit unserer Liebe nichts zu tun.«
    »Oh, ein Irrtum! Ein großer Irrtum. Sehr viel hat es damit zu tun!« Dorian sprang auf. »Soll ich mir in meinem Schwiegersohn einen Feind großziehen, der mein Lebenswerk blockiert? Der kleinkariert denkt, im engen Kreis der heute praktizierten Medizin, der keinen Nerv für das Revolutionäre hat?« Dorians Stimme hob sich. Sie konnte in solchen Augenblicken fanfarenhaft klingen. »Geh nach München. Ab zu den Knochenbrechern! Schneide Bäuche auf, spalte Karbunkel, zähl die herausgenommenen Gallensteine. Wer am Hirn arbeitet, muß den Mut eines Tigers haben und die Demut einer Nonne. Und er muß Gott kennen. Was kennst du? Das Lehrbuch der Chirurgie, die Namen der Knochen und vielleicht auch die Zusammensetzung des Urins. Das genügt hier nicht, Herr Doktor Keller!«
    Dr. Keller sah auf das lebende Affengehirn in der Glasschale. Beleidige mich, dachte er. Du weißt genau, was ich kann. Du weißt, daß ich Mut habe. Und weil ich ihn habe, darum sage ich dir: Es gibt eine Grenze in der Medizin … noch gibt es sie. Vielleicht kannst du sie durchbrechen, aber es ist noch zu früh!
    »Wenn ich gehe, geht Angela mit«, sagte Dr. Keller heiser.
    »Das wollen wir sehen.«
    »Ich habe mit ihr gesprochen!«
    »Ah! Ihr konspiriert gegen den Vater? Eine Verschwörung in meinem Hause? Mein erster Oberarzt meuchelt seinen Chef!« Dorian drückte auf einen Klingelknopf. Ablösung am Hirn, hieß das Signal. Dienstfreier Arzt ins ›Tierhaus‹. »Wo ist Angela?« rief Dorian erregt. »Ich will sie sehen! Ich will mit meinen eigenen Augen sehen und mit meinen Ohren hören,

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