Das Schloß der blauen Vögel
mit der rechten Hand nach Kellers Arm. Danke … allen Dank meiner Liebe … Wer weiß, was nach Weihnachten ist …
»Wenn es sich so einrichten läßt …«, sagte Dorian endlich. Seine Stimme schwankte etwas. »Es macht einen besseren Eindruck – schon wegen der Hochzeit.«
»Selbstverständlich nur deswegen.« Dr. Keller lächelte in sich hinein. Er gibt nicht nach, nicht einen Fingerbreit. Und doch ist er froh, man muß es eben spüren. »Die merkwürdigen Vorfälle in der Klinik im Zusammenhang mit meinem Namen sind es vor allem, die mich bewegen, die paar Wochen noch zu bleiben. Ich muß dieses Schwein entdecken, das die Kranken zum billigen Werkzeug benutzt, um Unruhe zu stiften.«
»Es ist ein Kollege, soviel weiß ich.«
»Und ich glaube, ich kenne ihn auch.«
Dorian drehte sich um. Er sah Dr. Keller voll an. »Sie denken an Doktor Kamphusen. Lächerlich. Sie mögen Kamphusen nicht.«
»Ich habe ihn einmal geohrfeigt.«
»Ach!« Dorian zog die Brauen hoch. »Davon weiß ich nichts. Was auch der Anlaß war … ich glaube, es ist nicht der richtige akademische Ton, ins Gesicht zu schlagen. Sie sind sehr impulsiv, Doktor Keller.«
»Fängt es schon wieder an?« Angela sprang auf. »Ihr seid wie zwei Kampfhähne, die sich aufeinanderstürzen, kaum daß sie sich sehen. Kamphusen ist ein Ekel!«
»Mag sein, meine Tochter.« Dorian erhob sich aus dem tiefen Ledersessel. »Aber er kann zuhören. Er assistiert gut. Die Klinik braucht ihn. Das allein ist wichtig.« Er ging zum Tisch, knipste die große Stehlampe an und ging weiter zum Barschrank. »Trinken Sie eine Flasche Rotwein mit uns, Doktor Keller? Es soll kein Freudentrunk sein … ich habe einfach Lust auf einen guten Wein.«
So ging die Arbeit in der Klinik Hohenschwandt weiter. Elektroschocks, Heilschlaf, Hypnosebehandlung, medikamentöse Behandlung, Psychotherapie … der Alltag einer psychiatrischen Klinik. Das Verhältnis zwischen Dorian und Dr. Keller hatte sich nach diesem Abend etwas gebessert; wie früher sahen sie jetzt wieder gemeinsam die Post durch und besprachen einige unklare Fälle. Auch chirurgische Therapien wurden diskutiert … nur wenn es um reine psychochirurgische Dinge wie eine Lobotomie ging, klammerte Dorian diesen Fall aus den Gesprächen mit Keller aus.
Einige Tage nach Sassners tragischem Tod im verschlammten See von Wilsach lag bei Dorians Post ein Brief aus der Schweiz. Abgestempelt in Basel, Hauptpostamt. Ohne Absender. Mit einer alten Schreibmaschine geschrieben. Die Typen hingen schief und waren teilweise abgeschlagen, das Farbband gab kaum noch Farbe her.
Professor Dorian las den Brief mit gerunzelter Stirn, blickte kurz zu Dr. Keller, der Patientenanmeldungen sortierte, las den Brief noch einmal und reichte ihn dann dem jungen Arzt.
»Lies dir das mal durch«, sagte er erstaunt. Ohne es zu merken, duzte er Dr. Keller wieder, es kam aus der Erregung heraus.
Der Brief war kurz und militärisch knapp in der Sprache. Er lautete:
»Lieber Herr Kollege,
die Dummheit, das haben meine eingehenden Untersuchungen ergeben, ist ein Gas, das den menschlichen Organismus langsam, aber unaufhaltsam vernichtet. In Politik, Wirtschaft und Kultur mehren sich die Anzeichen, daß die Menschheit einer Katastrophe entgegensteuert. Frühere Lebewesen, wie etwa die Saurier, gingen an Futtermangel zugrunde … unsere Menschheit wird sich vernichten aus eigener Dummheit.
Ich habe entdeckt, daß im menschlichen Hirn ein kleines Ventil undicht geworden ist, durch das die Gase entweichen, die Vernunft und Logik umnebeln. Um die Menschheit zu retten, bedarf es nur eines kleinen Eingriffs im offenen Hirn, eines Verschlusses des Defekts, und der Mensch lernt erkennen, wie man Paradiese schafft.
Ich werde in Kürze beginnen, diese Operationen auszuführen. Erlauben Sie mir, verehrter Kollege, Sie auf dem laufenden zu halten. Ich grüße Sie mit der neuen Weltparole: Dummheit – ex!«
Dr. Keller legte den Brief mit einem Lachen zurück auf den Tisch. »Ein typischer Schizophrener! Weltverbesserungswahn. Und auch noch anonym …«
»Das ist es, was mich stutzig macht.« Dorian beugte sich über den Brief. »Schizophrene Weltverbesserer sind Theoretiker. Dieser hier aber kündigt Operationen an!«
»Große Worte.«
»Und wenn er es wirklich tut?«
Plötzlich lag lähmendes Entsetzen im Raum. Dorian sah in Dr. Kellers Augen die grauenhafte Frage. Er nickte langsam.
»Ja … wenn er es tut, hat hier ein geisteskranker Mörder
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