Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
ist nur ein Mensch, und im Kampf mit dem Tod ist er oft der Unterlegene. Aber hier lagen die Dinge anders. Hier klagten die Wahrheiten Dorian an, und die Wahrheiten hießen: Du hast eine Operation begangen, die vor dir noch niemand gewagt hat. Du hast in das Gehirn eingegriffen, als seiest du Gott. Du hast dir angemaßt, mit dem Skalpell einen neuen Menschen zu schaffen. Du hast ein Neuland betreten, ohne zu wissen, ob es fruchtbarer Boden ist.
    In den Nächten, in denen Dorian sich das fragte, war er der einsamste Mensch der Welt. Wer konnte ihm wohl helfen?
    »Frau Sassner glaubt, daß ihr Mann tot ist«, sagte Dr. Keller und zerdrückte seine Zigarette zwischen den Fingern. »Ich habe sie gefragt, warum ein Mensch, der sich das Leben nehmen will, Rasier- und Waschzeug mitnimmt, sogar das Rasierwasser. Sie wußte darauf keine Antwort …«
    »Ich weiß sie auch nicht, Bernd.«
    »Weil er weggegangen ist, um weiterzuleben. In einer Welt weiterzuleben, die er sich neu aufbauen wollte. Warum … das ist eine Frage, die man einem Hirnkranken nicht stellen kann. Darauf müssen wir, die Ärzte, antworten. Und ich glaube, ich habe die Antwort.«
    »Um zu morden …« sagte Dorian tonlos. »Meinst du das?«
    »Ja.«
    »Ein Mörder durch mein Skalpell!« Dorian sprang auf. Sein Körper zitterte wie im Schüttelfrost. »Was kann ich jetzt noch tun?« schrie er. »Wie soll ich hier noch helfen … wenn es wahr ist?« fügte er leise hinzu.
    Dr. Keller blickte wieder hinüber zu der Wandkarte. Er hatte ganz klare Vorstellungen, was man unternehmen sollte, er hatte sich den Gang der Dinge genau dargelegt, wenn Dorian so einsichtig sein sollte, die mißlungene Operation anzuerkennen. Und doch war jetzt alles ganz anders.
    Was hatte man wirklich als Beweis, daß Sassner noch lebte?
    Nichts.
    Alles war nur eine Annahme, ein schrecklicher Verdacht, eine grauenhafte Möglichkeit. Es war wie ein zusammengesetztes Puzzlespiel, bei dem nur noch eine kleine Ecke fehlt … aber erst dieses letzte Stückchen ergab das vollständige Bild.
    »Du solltest Kriminalrat Quandt sofort verständigen«, sagte Dr. Keller.
    »Ich soll also vor aller Welt bekennen: Seht euch diesen Dorian an – er ist ein Versager!«
    »Du bist nicht der erste und bestimmt nicht der letzte Chirurg, dem eine Operation mißlungen ist.«
    »Aber mit diesen Folgen! Das ist einmalig!«
    »Niemand wird dir daraus einen Vorwurf machen. Wer konnte diese Komplikationen voraussehen?«
    »Oh, wie schlecht kennst du unsere werten Kollegen!« Dorian nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Seine Brille beschlug sich. Er putzte sie nicht; tappend wie ein Blinder umkreiste er den Schreibtisch. »Sie werden über mich herfallen wie die Geier über das Aas. Sie werden sagen: Das haben wir gleich gewußt! Diese Operationen sind frevelhaft. Oh, ich sehe schon die Artikel in den Zeitungen und Illustrierten, die Fernsehinterviews der neunmalklugen Kollegen, die mit vorsichtigen, tastenden Formulierungen, aber dennoch ganz deutlich bekunden werden: ›Wir hätten das nicht getan!‹« Dorian blieb stehen und stützte sich mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch. »Nur dem Erfolgreichen gehört das Halleluja der Masse … den anderen bleibt das ›Kreuzige ihn‹! Du hast es auch gesagt!«
    »Ich hatte Angst vor dieser Operation. Ganz gemeine Angst. Darf ein Arzt keine Angst haben?«
    Dorian sah an Dr. Keller vorbei auf ein Bild, das seinem Schreibtisch gegenüber an der Wand hing. Immer wenn er hier saß, hatte er es vor Augen, darum hing es auch dort. Es war ein in Öl gemaltes Porträt seiner Frau. Ein berühmter Münchner Künstler hatte es gemalt, ein Jahr vor dem Tod der schönen Frau, die jetzt mit gütigen, ja fast zärtlichen Augen auf Dorian herabblickte und immer um ihn war und ihn anlächelte, als verstünde sie alles, was in diesem Raum gesprochen wurde.
    »Wir dürfen Angst haben«, sagte Dorian langsam. »Aber wir müssen sie in uns festklammern. Fortschritt ist Mut. Wo stünde heute unsere Medizin, wenn wir alle uns der Angst gebeugt hätten?« Er griff zum Telefon und zog es zu sich heran. »Es ist so schön, daß man sich selbst überreden kann …«
    »Was willst du tun?« fragte Dr. Keller.
    »Quandt anrufen. Vielleicht lacht er uns aus. Aber wir haben dann den inneren Druck los.« Dorian nahm den Hörer ab. »Ich muß dir etwas gestehen, Bernd«, sagte er leise.
    »Ja?«
    »Ich glaube auch, daß Sassner noch lebt … Ich habe mich in all den Wochen

Weitere Kostenlose Bücher