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Das Schloss der tausend Sünden

Das Schloss der tausend Sünden

Titel: Das Schloss der tausend Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Portia Da Costa
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ignorieren. Es gefiel ihm durchaus. Der Glanz ihrer kurzen, stumpfgeschnittenen Frisur passte zu der Lebendigkeit ihres Wesens. Außerdem war damit die einzige Äußerlichkeit verschwunden, die ihn immer irritiert hatte: Mit langen schwarzen Haaren verband er unschöne Assoziationen. Sie erinnerten ihn an Isidora und all das Böse, was sie ihm angetan hatte.
    «Denkt nicht an sie, Mylord», sagte Michiko, und ihre Aura begann von der spontanen Welle der Hingabe noch stärker zu leuchten. «Die Dame, die Ihr liebt, erwacht gerade.» Sie fasste sich mit einer ihrer schlanken Hände an den Busen. «Ich spüre sie hier. Sie spricht zu mir, André.» Ihr Gesicht wurde von einem undurchschaubaren Lächeln überzogen. «Und gleich wird sie durch mich zu Euch sprechen.» Das Paar schaute hinüber zu der Rosenholzschatulle und dem mittlerweile etwas intensiveren blauen Nimbus.
    André zitterte. Es war lange her, seit dieses Phänomendas letzte Mal aufgetreten war. Doch auch wenn er sich danach sehnte, blieb seine Freude zwiespältig. Die kostbaren Momente waren immer schon vorbei gewesen, bevor er sie hatte wertschätzen können. Sie machten ihn stets noch einsamer und ließen ihn Belle noch mehr vermissen.
    Und doch wollte er sich die Chance auf keinen Fall entgehen lassen.
    Michiko stand währenddessen auf, ging zu Arabelles Kästchen und hob es voller Ehrfurcht hoch. Mit ruhigem Gesicht, aber leuchtenden, fast schwarzen Augen hielt sie die mit Schnitzereien verzierte Schatulle vor ihre nackten Brüste und wiegte sie sacht hin und her. André glaubte, dass sie auf irgendeine Weise bereits mit seiner Geliebten kommunizierte und die beiden einen intimen weiblichen Austausch vollzogen, in den sie ihn niemals einweihen würden – selbst wenn Arabelle mit im Raum gestanden hätte. Er musste lächeln, als er einen Hauch von Eifersucht in sich aufsteigen spürte.
    Nach einem kurzen Moment drehte Michiko sich um und brachte das Kästchen zum Bett. Nachdem sie die Tagesdecke glatt gestrichen hatte, stellte sie die Schatulle vorsichtig ab und holte dann ein langes Seidenband aus einer Schublade des Sekretärs. Mit einem kurzen Blick auf den Grafen hob sie den Deckel des Kästchens an und wartete auf ein Zeichen, die Phiole zu entnehmen.
    André nickte. Sein Herz raste, und er schluckte nervös, als Michiko den Kristallflakon entnahm und das unirdische blaue Licht – die einzigen Überreste der Frau, die er mehr als sein eigenes Leben liebte – langsam tanzende Schatten auf ihre Körper warf.
    André?, fragte Arabelle, die klare, körperlose Stimme voller Freude. Hab keine Angst   … Michiko hat mir von den Hoffnungen berichtet, die du hegst. Vielleicht werdenwir beide schon bald für immer zusammen sein können   … Und wenn nicht, dann lass uns neuen Mut durch das schöpfen, was wir jetzt erleben   …
    Sie war immer so ruhig, so geduldig. Manchmal fühlte er sich schwach und unfähig, weil er seine weitaus geringeren Qualen nicht mit derselben Friedfertigkeit hinnehmen konnte. Gleichzeitig war ihre Gelassenheit auch ein Trost. Er erinnerte sich noch gut an die erste Zeit mit ihr, an die Anflüge von beinahe kindlicher Unbedarftheit. André war dankbar, dass sie jetzt so gereift und weise war. Er betrachtete es als ein Wunder, wie sie ihr Schicksal erduldete. Arabelle war körperlich nie gealtert und eigentlich nicht mehr als ein junges Mädchen. Dasselbe bezaubernde, unschuldige Mädchen, in das er sich vor über zwei Jahrhunderten verliebt hatte.
    Michiko legte die flackernde Phiole auf das Bett und schlang dann in einem komplizierten Muster das Seidenband um Handgelenk und Arm. Dabei ließ sie ein Ende lose herunterhängen. Die Japanerin nickte in Richtung des Gefäßes. André schraubte mit ungeschickten, zitternden Fingern den Glasdeckel auf und steckte das Ende des Bandes vorsichtig in die Öffnung.
    «Großer Amida», stimmte Michiko mit leiser Stimme an, «geleite den Kami der Dame Arabelle in die Schale deiner bescheidenen Dienerin.» Sie legte ihren freien Arm um den Körper, formte mit den Fingern ein magisches Symbol und drückte sie auf ihre Haut. Dabei murmelte sie mit tiefer Stimme japanische Zauberformeln. Dann legte sie mit fest geschlossenen Augen den Kopf zurück, und ihre Lippen teilten sich, um ein winziges Keuchen auszustoßen.
    André beobachtete voller Anspannung, wie Michikos Atem immer schneller wurde und sich auf ihrer plötzlich umwölkten Stirn winzige Schweißperlen bildeten. Dannwandte er seine

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