Das Schloss der tausend Sünden
eine panische Angst in sich aufsteigen und sehnte sich mit einem Mal nach Jonathan mit seinem lieben und unspektakulären Gesicht. Wie gern hätte sie jetzt seineangenehme Stimme gehört, mit der er ihr garantiert eine vernünftige Erklärung für all das geben würde.
Irgendwann gelang es der aufgeregten Frau, ihre Gedanken wieder etwas zu ordnen. Ihre Begegnung mit Oren schien Stunden her zu sein. Wenn kurz danach tatsächlich jemand nach Jonathan geschickt worden war, dann musste er jetzt bereits im Kloster sein. Irgendwo in diesem Labyrinth aus Korridoren und Zimmern musste er stecken.
Belinda stand auf und ging entschlossenen Schrittes durch die Galerie. Dabei würdigte sie die blauen Augen, die sie von den Porträts aus zu beobachten schienen, keines Blickes.
Was sie jetzt brauchte, war Normalität. Und ein Gefühl der Sicherheit. Ein bisschen Trost von einem Mann, dessen Augen nicht blau waren …
Kapitel 4
Bestärkung
«Wo bist du denn gewesen?», fragte Jonathan ungeduldig, als Belinda in den opulenten roten Raum trat, den sie jetzt wohl als ihr Zimmer bezeichnen konnte.
«Dasselbe könnte ich dich fragen», fuhr sie ihn an. Sie hatte auf Verständnis gehofft und nicht mit einer strengen, knappen Frage gerechnet.
Jonathan lag auf der weichen roten Tagesdecke. Er trug ein ziemlich ausgeleiertes weißes T-Shirt , Khaki-Shorts und war barfuß. Sein dunkles Haar war nass und nach hinten gekämmt, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen. Als Belinda auf ihn zuging, setzte er sich auf die Bettkante. Ihre aggressive Reaktion schien ihn zu irritieren.
«Entschuldige bitte», sagte Belinda in etwas milderem Ton. Jonathan sah genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte, und es schien einfach dumm zu sein, sich wegen nichts zu streiten. Schließlich saßen sie beide in einem Boot. «Ich habe mich nur ein bisschen umgesehen, während ich auf dich wartete. Oren sagte mir, dass er jemanden nach dir schicken würde.»
«Wer ist Oren?», erkundigte sie Jonathan, als seine Freundin sich neben ihn setzte.
Irgendetwas in der Stimme ihres Kollegen ließ Belinda stutzig werden, und als sie ihn näher betrachtete, fiel ihr sein wachsamer Gesichtsausdruck auf.
«Das lässt sich schwer sagen», begann sie und bemerkte gleichzeitig, wie Jonathan eine gewisse Röte ins Gesicht schoss. Wieso wohl? War es vielleicht die Erinnerung andie vergangene Nacht? Was sie da im Pavillon getrieben hatten, war ziemlich wild gewesen. «Ich weiß nicht genau, wer er ist», fuhr sie fort und versuchte, ihrem eigenen Gesichtsausdruck etwas Neutrales zu verleihen. Die Frage nach dem Grund für Jonathans Verlegenheit blieb. «Er scheint so eine Art Bediensteter zu sein. Einen Butler stellt man sich allerdings anders vor. Ich traf ihn an der Eingangstür, wo er mich schon zu erwarten schien. Das Ganze war sehr merkwürdig.» Während dieser Worte fiel ihr wieder ein, dass der stumme Mann tatsächlich in keiner Weise überrascht gewesen war, sie zu sehen. «Er hat mich jedenfalls im Namen seines Herrn willkommen geheißen und mich auf dieses Zimmer gebracht. Das war ziemlich schlau von ihm, wenn man bedenkt, dass er nicht sprechen kann.»
«Du meinst, er ist auch stumm?»
«Was soll das heißen – auch?»
«Die beiden Mädchen, die mich abgeholt haben, konnten auch nicht sprechen.» Jonathans Gesichtsfarbe war noch dunkler geworden. «Aber … Na ja, es schien mir jedenfalls das Beste zu sein, ihnen einfach zu folgen.» Sein Blick wich dem von Belinda aus, und er nestelte an einem unsichtbaren Faden auf der Tagesdecke.
Ganz offensichtlich war irgendwas zwischen Jonathan und diesen unbekannten, sprachlosen Mädchen vorgefallen – das merkte sie genau. Normalerweise hätte sie mit Misstrauen und Zorn reagiert, doch zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie die Vorstellung von Jonathan mit zwei anderen Frauen als überaus faszinierend. Sein sichtliches Schuldgefühl löste einen seltsamen inneren Aufruhr in ihr aus – ein Gefühl der Überlegenheit, das ziemlich erregend war.
«Haben die beiden dich auf dieses Zimmer gebracht?»,fragte sie in möglichst neutralem Ton. «Ich nehme doch wohl an, du hast ihnen gesagt, dass wir zusammen hier sind?»
«Habe ich …», fing er an, schwieg dann aber wieder und zog mit den Fingern eine Linie auf der Samtdecke. «Aber ich bin nicht sicher, ob sie mich verstanden haben. Mir wurde ein Zimmer am Ende des Korridors zugeteilt. Sie bestanden darauf, und es schien mir einfacher, nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher