Das Schloss der tausend Sünden
widersprechen.» Er schaute sie mit gerunzelter Stirn an. «Nachdem ich geduscht hatte, habe ich mich ein bisschen umgesehen und diesen Raum hier entdeckt. Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie habe ich gespürt, dass du hier drin warst.» Jonathan zuckte mit den Schultern und schaute sich um. «Ist schon merkwürdig, das Ganze, was?» Belinda nickte, die Augen immer noch auf sein Gesicht gerichtet. «Ich meine, gestern Abend sah der Kasten noch total runtergekommen aus. Und das tut er von außen immer noch. Aber von innen ist es der reinste Palast. Allein die Möbel müssen ein Vermögen wert sein.»
«Stimmt. Ich habe mich auch schon ein bisschen umgeschaut. Das ganze Haus ist voller Gemälde, Antiquitäten und allen möglichen seltsamen und tollen Schätzen.»
«Hör mal …», Jonathan zögerte, bevor er weitersprach, «es könnte doch ganz nett sein, ein bisschen hierzubleiben. Wir scheinen doch sehr willkommen zu sein.»
Als Belinda kurz über die Idee nachdachte, fiel ihr auf, dass sie unbewusst schon dasselbe gedacht hatte. Es war sehr verlockend, aber es mussten auch einige praktische Dinge bedacht werden. «Was ist mit dem Auto? Wir müssen es reparieren lassen. Und Paula können wir auch nicht einfach so sitzenlassen», sagte sie und dachte an ihre Freundin, die auf sie wartete. «Sie wird sich sicher fragen, wo wir abgeblieben sind.»
«Sie könnte doch auch herkommen», schlug Jonathan vor.
Belinda schüttelte den Kopf. «Wir können doch nicht einfach Leute hierher einladen. Das ist nicht unser Haus. Und wem immer es auch gehört, es könnte gut sein, dass er auch uns noch heute hier raushaben will.»
Doch selbst während dieser Worte war die junge Frau schon sicher, dass sie sich irrte. Sie wusste nicht, wieso, hatte aber das merkwürdige Gefühl, der Herr des Anwesens – der schlafende Mann in dem Turm – wollte unbedingt, dass sie beide hierblieben. Oder zumindest dass sie hierblieb. Eine Welle der Verzweiflung durchflutete sie. Doch es war nicht ihre eigene, sondern eine Empfindung, die von irgendwo anders herkam. Ganz plötzlich wurde ihr kalt, und sie begann zu zittern.
«Ist alles okay, Kleines?», erkundigte sich Jonathan, rückte näher an sie heran und legte den Arm um sie. «Du hast dir doch wohl keine Erkältung eingefangen, oder?» Fürsorglich legte er ihr eine Hand auf die Stirn.
«Nein, keine Sorge. Mir geht’s gut», entgegnete sie und spürte doch eine merkwürdige Mischung aus unterschiedlichsten Gefühlen. Verwirrung, düstere Vorahnung, Aufregung, Erregung – all diese Emotionen wirbelten in ihrem Inneren durcheinander, und sie hatte keinen Schimmer, wie sie entstanden waren. Ganz besonders verblüffend war die unglaubliche Woge der Lust, die eben gerade wie ein Sturm aus dem Nichts über sie hinweggeschwappt war. Ihre anfänglich leichte Erregung hatte sich binnen weniger Sekunden zu einer leidenschaftlichen Gier auf ihren Gefährten entwickelt. Sie wandte sich ihm zu, legte eine Hand auf seinen Hals und zog ihn zu einem Kuss heran.
Jonathan scheute etwas zurück, sah sie mit fragenden Augen an, gab Belindas festem Griff jedoch schnell nach.Sie konnte die Verwirrung ihres Freundes fast schmecken, als er seinen Mund zögerlich öffnete, die Liebkosungen ihrer bohrenden Zunge dann aber schnell erwiderte. Mit einem Seufzen sank das Paar zurück aufs Bett.
Als André von Kastel oben im Turm mit einem Lächeln die Augen öffnete, spürte er eine vitale Energie durch seinen Körper fließen. «Ich stehe in Eurer Schuld», bedankte er sich bei seinen Gästen zwei Stockwerke unter ihm.
Mit einem Strecken testete er seine körperlichen Fähigkeiten. Er war zwar gelenkiger und kräftiger als zuvor, aber trotzdem noch weit von seiner normalen Stärke entfernt. Trotz der geschlossenen Vorhänge spürte er, dass es erst Nachmittag war und er somit noch ausreichend Zeit hatte, zu seiner alten Form zurückzukehren. Bei Einbruch der Dunkelheit würde er wieder so sein, wie er einst gewesen war – und das alles dank eines Liebespaares, das der Sturm unter sein Dach geweht hatte.
Er setzte sich langsam und vorsichtig auf. Ein bisschen unsicher war er zwar noch, erlangte aber schon nach einem kurzen Moment die volle Kontrolle über sein Gleichgewicht wieder. André fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sehnte sich mit einem Mal nach einem erfrischenden Bad und frischgewaschenen Kleidern. Trotz seines speziellen Zustands war er im Grunde doch immer noch ein Mensch, der
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