Das Schloss der tausend Sünden
und ein unbewusstes Gefühl ihrer Wichtigkeit bei dieser ganzen Geschichte. Eine Wichtigkeit, die über eine einfache Liebelei weit hinausging.
Nicht, dass ihr Liebesspiel unbedeutend für ihn gewesen wäre. Mitnichten. Der Graf streckte sich aus, zog seinen Seidenumhang fester zu und gab sich den Erinnerungen hin. Er dachte an die Lust, die er gerade erst vor ein paar Stunden erlebt hatte.
Belinda Seward anzufassen und zu streicheln glich seinem immer wiederkehrenden Traum von Arabelle auf frappierende Weise. Ihre Körper und Gesichter waren sich sehr ähnlich. Oder zumindest so ähnlich, dass man Belinda für eine erwachsene Version seiner Arabelle halten könnte. Wäre Belle ihm nicht vor ihrem zwanzigsten Geburtstag genommen worden, hätte sie sicher so ausgesehen wie Belindajetzt. Er lächelte und überlegte, ob Belle sich wohl jemals von ihrem schimmernden tizianroten Haar getrennt hätte, um sich für einen kurzen, elfengleichen Schnitt zu entscheiden, wie Belinda ihn trug. Er würde sie fragen müssen. Zweifellos aber hatte sie dieselbe sinnliche Natur. Dieselbe liebliche Mischung aus Naivität und Wagemut. Eine Verbindung des Reinen mit dem Profanen.
Als sein Schwanz sich durch die Lust von eben und den Gedanken an lange verlorengeglaubte Träume wieder versteifte, setzte André sich auf, machte die Schultern breit und griff nach einem Buch. Es war ihm immer merkwürdig vorgekommen, aber in der Erregung konnte er noch am klarsten denken. Wann immer er einen Zauber aussprach, erlebte er eine Leidenschaft, die entweder durch stimulierende Gedanken oder durch eigene Berührungen verstärkt wurde. André nahm an, dass ein Großteil seines magischen Könnens erst von der Macht der Lust erzeugt wurde.
Und er würde jedes bisschen dieses Könnens brauchen, um an sein fast unerreichbares Ziel zu gelangen. Er öffnete das Grimoire, eine mittelalterliche Sammlung von Zaubersprüchen, wo er schnell das entscheidende Kapitel aufschlug. Dort wurde ein Ritual beschrieben, welches er zwar in- und auswendig kannte, aber es war so gefährlich, dass man ihm nie einen Namen gegeben hatte.
Würde es funktionieren? Er kräuselte die Nase über dem altbekannten, aber verhassten Parfüm, das von den Seiten des uralten Buches aufstieg. Zwar mochte dieses Grimoire der einzige Schlüssel sein, der ihm und Arabelle doch noch eine gemeinsame Zukunft öffnen könnte, die Herkunft des Buches löste gleichzeitig aber auch einen tiefen Ekel in ihm aus. Es schein fast eine Ewigkeit her zu sein, dass er es sich von dem Haufen auf Isidoras Schreibtisch genommen hatteund damit in die Nacht geflohen war. Nur dieses Buch und Arabelles Kristallphiole hatte er damals mitgenommen.
Das Buch mit den Zaubersprüchen war allerdings nicht rechtmäßig in Isidoras Besitz gekommen. Das wusste er. Wahrscheinlich hatte sie es aus der okkulten Sammlung eines ihrer früheren Opfer gestohlen. Schon damals, vor über zweihundert Jahren, war es ein antiker Schatz gewesen. Ein Schatz, auf dessen verwitterten Seiten das erprobte Wissen von mehr als einem Dutzend geachteter Zauberer geschrieben stand. Alchemisten, die nach dem ewigen Leben und dem Geheimnis der Goldherstellung gesucht hatten. Und selbst das Wissen dieser Meister stammte aus noch früheren Zeiten und fernen Gegenden, wie dem Nahen und dem Fernen Osten, aus Ägypten, wo Tod, Wiedergeburt und erotische Rituale im Mittelpunkt eines spirituellen Pharaonenkults gestanden hatten.
Wohin würde es ihn und Arabelle verschlagen, wenn das Ritual aus dem Grimoire erfolgreich wäre? In den Sternenhimmel, wie die ägyptischen Gottkönige glaubten? Oder in eine völlig andere Welt? Vielleicht sogar ins Nichts? Es ließ sich unmöglich vorhersagen, aber er wusste, dass sie in irgendeiner Form zusammen sein würden – endlich befreit von den Qualen ihrer Trennung.
Es lauerten jedoch auch viele Gefahren. Das Ritual konnte fehlschlagen und ihn dazu verdammen, mit beschädigtem Geist und schwachem Körper noch länger zu leben. Vielleicht würde er sogar den Geist von Arabelle verlieren und sie in irgendeiner dunklen und unbekannten Leere zurücklassen müssen. Die größte Gefahr jedoch bestand darin, dass auch Belinda als sein geliebtes, sterbliches Wirtswesen ausgelöscht würde. Viele Zutaten des Elixiers waren äußerst giftig, wenn man sie unter normalen Umständen einnahm. Tollkirsche, Quecksilber und auch Arsen – alldiese Stoffe wirkten in ihrer unverzauberten Form meist schon in geringer
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