Das Schloss der tausend Sünden
altertümliche Kleidung verwirrte sie etwas.
«Ich dachte, das wäre ein Vorfahre von dir. Genau wie die Leute auf den anderen Bildern.»
«Alle Porträts stellen mich dar», erklärte André mit sanfter Stimme und einem zarten Lächeln um die Lippen, das ein wenig traurig wirkte.
«Ich … ich nehme nicht an, dass du dich für die Bilder verkleidet hast», stellte Belinda fest. Sie lächelte beklommen, denn nach und nach beschlich sie eine Ahnung von der Wahrheit.
«Nein, ich fürchte nicht», antwortete der Graf und zuckte mit den Schultern. «Das sind einfach nur Sachen,die mir zur damaligen Zeit gefielen. Oder besser gesagt: zu damaligen Zeiten.»
«Dann bist du also doch ein Vampir?» Belinda musste das Thema jetzt einfach ansprechen. Besonders jetzt – nach dem, was zwischen ihnen gewesen war. Richtigen Sex hatten sie zwar nicht gehabt, aber es war dicht genug davor gewesen. Würde sie schon in einer Minute unter seinem betörenden Bann stehen?
«Nein. Wie ich dir schon sagte, ich bin kein Vampir», erwiderte er, griff nach ihrer Hand und drückte sie versichernd. «Glaub mir, es gibt zwar durchaus Vampire, aber ich gehöre nicht dazu. Ich teile ein ähnliches Schicksal wie sie, aber meine Bedürfnisse sind bei weitem nicht so gefährlich.» Er hielt einen Moment inne. Belinda spürte einen gewissen Zweifel in sich aufsteigen. Log er sie etwa an, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen? «Meines Wissens bin ich immer noch ein Mensch», fuhr er schließlich fort und rieb mit dem Daumen so über ihre Fingerknöchel, wie es ein zärtlicher Liebhaber aus Fleisch und Blut auch tun würde. «Verändert zwar, aber ich bin immer noch ein Mann.» Diesmal lächelte er etwas breiter, so als würde ihn die Tatsache aufmuntern, dass er immer noch sterblich war.
«Wie alt bist du?»
André schien scharf nachzudenken. «Geboren wurde ich 1760. Dann wäre ich also …» Er zählte leise. «Dann wäre ich also über 200 Jahre alt.» Der Daumen unterbrach seine Zärtlichkeiten, und ihre Blicke trafen sich.
Belinda schluckte. Ihr Kopf fühlte sich ganz leicht an, und sie spürte eine plötzliche Distanz zur Realität – fast als hätte sie geträumt und wäre zu schnell aufgewacht. Was André ihr da gerade erzählte, war mehr oder weniger das, womit sie gerechnet hatte, schien ausgesprochen aber völlig absurd zu sein.
«Wirst du ewig leben?»
«Das glaube ich kaum», antwortete er nüchtern. «Ich habe zwar ein ausgesprochen langes Leben, ja, aber da ich seit meinem Unglück vor vier oder fünf Jahren doch leicht gealtert bin, nehme ich an, dass auch ich älter werde und einmal sterbe. Aber das dauert noch ein paar Jahrhunderte.»
Belinda fehlten die Worte. Doch irgendwo tief in ihrem Inneren fand sie noch eine Frage.
«Du sagtest, du bist kein Vampir und deine Bedürfnisse seien nicht gefährlich …»
Der Graf unterbrach sie. «Hast du mir denn nicht zugehört, als wir uns auf der Terrasse unterhielten?» Er drehte ihre Hand, küsste sie auf die Innenfläche und leckte dann langsam und sinnlich über ihre Haut.
Belinda erinnerte sich an die Terrasse. Sie erinnerte sich, wie sie dort von Scham und anderen heftigen Gefühlen überfallen wurde. Irgendetwas hatte er ihr dort erzählt. Doch sie hatte ihn zu sehr begehrt, um klar denken zu können.
«Mein Bedürfnis ist ganz einfach», erklärte er und zog sie mit Küssen den Arm hinauf näher zu sich heran. «Und genau so, wie ich es dir beschrieben habe.» Er ging ein wenig in die Knie und küsste erst ihre Schultern, dann ihre Brüste. «Ich nähre mich von deinen Sinnen, Belinda. Deiner Ekstase, deiner Erfüllung, deiner Befriedigung.» Seine Lippen streiften über ihre Nippel, während er mit der Zunge ihre Brust leckte. «Den erotischen Freuden, die du erlebst, wenn du mit jemandem schläfst.»
Kapitel 9
Japanisches Geflüster
Ob sie mich verstanden hat?, dachte der Graf. Er legte sich zwischen die Bücher und Handschriften, die über sein Bett verstreut lagen, und deckte sich mit seinem sternenbesetzten Umhang zu. Es war kurz vor Sonnenaufgang, und schon bald würde er wieder schlafen gehen müssen. Doch bis dahin konnte er seinen Hoffnungen und Träumen weiter nachhängen.
Zu Andrés großer Erleichterung hatte Belinda Seward keinerlei Schrecken über seine ungewöhnliche Lebensdauer gezeigt. Auch Angst schien sie nicht gehabt zu haben. Doch er spürte ebenso, dass seiner neuen Bekanntschaft vieles durch den Kopf ging. Vor allem Fragen –
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