Das Schloss Im Moor
Gestalt, mädchenhafter Anmut, bienenemsig, bescheiden, allzeit bestrebt, sich nützlich im Hause zu
machen, dankbar für die gewährte Stellung und für jedes gute Wort, das ist Eugenie Dobler. Es ward die
Repräsentantin schlankweg »Eugenie« genannt, ihre persönlichen Verhältnisse waren Theo und Olga
Tristner unbekannt. Im engen Familienanschluß vermied man alles, was auf eine »dienende« Stellung Eugeniens
hätte schließen lassen; der Ton war immer warm und vertraulich. Seit etwas über Jahresfrist waltete die
schlanke, hübsche Eugenie zu aller Zufriedenheit ihres Amtes im Schlosse, jedermann gefällig, immer schlicht und
bescheiden, allen sympathisch. Ihre Anstellung ist der einzige Luxus, den sich Frau Tristner gestattete, und dies auch nur
infolge des Augenleidens, das die Gutsherrin hinderte, persönlich nach dem Rechten in Haus und Wirtschaft zu sehen.
Da es galt, dem jungen Herrn Hilfe zu bringen, besann sich Eugenie keinen Augenblick und eilte nun in das Schlafzimmer
Theos. Unter den plump zugreifenden Händen des Ökonomieknechtes ächzte Theo.
Sofort nahm Eugenie die nötigste Arbeit vor, half mit, den Patienten zu Bett bringen, besorgte Kompressen und
entwickelte die Tätigkeit einer Krankenschwester.
»Danke! Oh, das tut gut! Sie sind ein Engel der Barmherzigkeit!« flüsterte Theo.
»Stilliegen, bis der Arzt kommt, nicht rühren, nicht sprechen! Ich erfülle nur meine Pflicht!«
erwiderte Eugenie, gab dem Knecht ein Licht und schickte ihn dem Arzt entgegen.
Alsbald erschien Doktor Freysleben, der junge Dorfarzt, bei Theo, sichtlich froh, endlich mal zu den Schloßleuten,
die einen Landsberger Praktikus zum Hausarzt hatten, gerufen worden zu sein. Die Diagnose war nach den Angaben des
Verunglückten nicht schwer zu stellen, ziemlich einfach die Tätigkeit des Arztes, der jedoch energisch darauf
bestand, daß eine Schwester die Krankenpflege übernehme.
Eugenie erklärte sich bereit, die Pflege zu übernehmen, und da Theo herzlich darum bat, stimmte Doktor
Freysleben schließlich bei, in Erwägung, daß ein Widerstand ihn um die Behandlung des Patienten und die
Schloß-»Kundschaft« bringen könnte. Immerhin erklärte der junge Doktor, wegen dieser Privatpflege
der Kontrolle halber täglich zweimal nachsehen zu müssen. So bekam denn Eugenie Verhaltungsangaben für die
Pflege, und dann ging der Arzt.
Theo wollte herzlich danken, doch Eugenie schloß ihm mit der schön geformten, doch an Arbeitsspuren reichen
Hand den Mund und leistete Pflegedienste, bis der Patient einschlummerte.
Wachend am Bette verbrachte die sanfte Eugenie die Nacht und verließ Theo erst am Morgen, da es nun galt, Frau
Tristner in schonender Weise von dem Unglück der verflossenen Nacht zu verständigen.
Ein klarer, sonniger Frühlingsmorgen ist herangebrochen, Sonnengold umflatterte die nahen Berge, leuchtet aus dem
jungen Grün der Wiesen, verklärt das sonst so trübe, öde Moor, es schimmert der See.
Frau Helene Tristner, die stattliche, großgewachsene Witwe, sitzt am offenen Fenster ihrer Schlafstube und blickt in
die Landschaft hinaus, auf Eugenie wartend, die ihr beim Ankleiden behilflich sein und sie dann zum Frühstückstisch
im Parterre geleiten wird. Früher war dies Aufgabe der Tochter, und Olga wollte lange nicht zurücktreten, die
Pflege Mamas nicht fremden Händen übergeben. Doch Eugenie hatte bald nach ihrem Eintritt in das Haus so herzlich
gebeten, auch dieses Amt übernehmen zu dürfen, daß Mutter und Tochter den Widerstand aufgaben. Frau Tristner
hatte die Zustimmung nicht zu bereuen, ein sympathischeres und gewandteres Stubenkätzchen wäre nirgends zu finden,
und so gewöhnte sich Mama Tristner an Eugenie, die ihr alsbald unersetzlich deuchte.
Leise trat Eugenie ein und begrüßte die würdige Dame: »Guten Morgen, gnädige Frau!«
»Danke. Guten Morgen auch, liebe Eugenie! Es ist wieder recht schlechtes Wetter heute, nicht? So nebelig
draußen wie um Allerheiligen! Ach Gott, es ist trostlos! Und lesen kann ich gar nichts mehr!«
Frau Tristner saß in flutendem Sonnenlicht, das ihre weißen Haare mit goldigem Schimmer
übergoß.
Eugenie richtete einen Blick voll innigsten Mitleides auf die alte Dame und beeilte sich dann, zu versichern, daß es
tatsächlich sehr nebelig sei, ganz ungewöhnlich winterliches Wetter für diese Jahreszeit.
»Ja! Aber ich sitze doch am offenen Fenster, das ich mühsam genug durch Betasten geöffnet habe, und es ist
mir
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