Das Schloss Im Moor
auffallend, daß warme Luft hereinströmt! Bei Nebel ist es doch sonst kalt im Freien; ich friere aber nicht,
wie kommt das?«
»Es ist doch schon Ende April, gnädige Frau, also vorgeschrittene Zeit, Frühling, die Wiesen sind schon
grün . . .«
»So? Ich sehe alles grau, mir ist's, als hätte ich einen Nebel vor den Augen – – sie werden immer
schlechter, diese alten Augen! O Gott, nur nicht blind werden, es wäre schrecklich! Lieber taub, gebrechlich,
meinetwegen Gicht und Lähmung, nur nicht blind!«
»Das wird der gütige Gott verhüten!«
»Hoffentlich! Das ist ja auch eine so schöne Eigenschaft an Ihnen, liebe Eugenie, Ihr Gottvertrauen! Mir will
manchmal statt Gottvertrauen die Verzweiflung in das Herz schleichen!«
»Der Mensch steht allzeit in der Hand Gottes! Darf ich Ihnen behilflich sein?«
»Ja, bitte, liebe Eugenie! Kommt Theo wohl zum Frühstück! Ist er glücklich von der Bergfahrt
zurück? Ich hörte gestern, daß er mit dem Braumeister nach St. Oswald gefahren sei, um den Kirchenwirt als
Kundschaft zu erhalten. Wird wohl recht spät heimgekommen sein! Diese Fahrten waren mir schon zu Lebzeiten meines Mannes
selig ein Greuel; scharfe Zechen der Wirte wegen, scharfe Pferde, ein Unglück ist leicht geschehen.«
»Leider ja!«
Frau Tristner drehte aufhorchend den Kopf in die Richtung, in der sie Eugenie vermutete. »Sie sagen das in einem
Tone, der mir Angst einflößt! Ist etwa ein Unglück geschehen? Reden Sie!«
»Der sonst sehr zuverlässige Schimmel . . .«
»Umgeworfen! Oh, meine Befürchtung! Was ist Theo geschehen?«
»Gottlob nicht viel! Zwei Rippen sind eingedrückt, sagt Doktor Freysleben. Bei entsprechender Pflege wird Herr
Theo bald wiederhergestellt sein.«
»Machen Sie schnell fertig mit den Haaren und führen Sie mich dann zu Theo! Wo ist Olga? Sie soll die Pflege
übernehmen!«
Während Eugenie Zofendienst verrichtete, bat sie Pflegerin Theos bleiben zu dürfen; es solle und werde der
Frauendienst nicht besonders vernachlässigt werden, und der Arzt habe bereits eingewilligt.
»Immer dienstbereit sind Sie, das muß man anerkennen, liebe Eugenie! Aber Sie muten sich zuviel zu! Pflegerin
Theos und zugleich meine rechte Hand und Stütze, das geht nicht, man kann nicht zweien Herren dienen. Rippenbruch,
schrecklich! Der arme Mensch! Wenn es nur nichts Schlimmeres ist! Verbergen Sie mir wirklich nichts?«
»Nein, gnädige Frau! Ich bin mit der Frisur fertig, darf ich Sie hinunterführen?«
»Ich will zu Theo!«
»Der junge Herr schläft zur Zeit!«
»Dann bleibe ich hier oben, schicken Sie mir Olga und den Kaffee! Gehen Sie zu Theo und sagen Sie mir Bescheid,
sobald er aufgewacht ist!«
»Sehr wohl!« Eugenie verließ das Gemach.
Die stattliche Matrone flüsterte ein Gebet für Theo und flehte zum Schöpfer, ihr den Nebel von den Augen zu
nehmen.
In die lichterfüllte Stube wirbelte Olga herein, die zwanzigjährige Tochter mit rabenschwarzem Haar und einer
sehr hübschen Figur, ein frisches Mädchen, das eine Schönheit genannt werden könnte, wenn nicht ein
Fehler ihr Gesicht entstellen würde. Der Oberkiefer mit schrägen übergroßen Schneidezähnen ragt
weit über den Unterkiefer vor, so daß die Oberlippe den Mund nicht normal schließen kann und oberhalb der
Zähne zurückbleibt. An diesen Fehler hatte sich Olga wohl oder übel gewöhnt, und auch die Leute ihrer
Umgebung fanden nichts Besonderes daran; nur Fremden fiel die Abnormität sofort auf, und jeder, der das sonst reizende
Mädchen sah, empfand inniges Bedauern ob solcher Verunstaltung, die alle ärztliche und Dentistenkunst nicht
beseitigen konnte.
Olga begrüßte die Mutter und sprudelte dann Vorwürfe gegen den Braumeister heraus, der nicht fahren
könne und den armen Theo samt den Wagen umgeworfen habe. Die Tochter fügte bei, daß sie den Schimmel bereits
besichtigt und völlig wohlauf befunden habe. Zu Theo könne man aber noch nicht kommen, da der arme Patient eben
schlummere.
»Diese Braufahrten bieten immer eine Gefahr!« erwiderte Mama, starrte mit erlöschenden Augen vor sich hin
und suchte mit der Rechten die Hand Olgas tastend zu erreichen. »Solange der Vater selig lebte, ward ich die Sorge
nicht los, der Vater war ein guter Fahrer, aber immer nahm er junge, feurige Pferde.«
»Ist ihm aber bei all den vielen Fahrten nichts passiert! Ich glaube, Haferditzel hat sozusagen zuviel – Hafer
im Leib gehabt. Theo wird mir schon nähere Auskunft geben, und dann
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