Das Schloss in Frankreich
solideren Bauwerks aufzugeben. Hier herrschten Friede, Fortdauer der Vergangenheit und Verbindung mit der Zukunft.
Als der Gottesdienst beendet war, hörte es auch auf zu regnen, ein schwacher Sonnenstrahl drang durch das farbige Fenster und brachte es zart zum Glühen. Nachdem die Schlossbewohner die Kapelle verlassen hatten, umfing sie frische Luft mit dem Duft sauberen Regens.
Yves begrüßte Shirley mit einer höflichen Verbeugung und einem langen Handkuss. »Sie haben die Sonne wieder hervorgelockt, Shirley.«
»Gewiss.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe befohlen, dass alle Tage meines Aufenthalts in der Bretagne hell und sonnig sind.«
Sie zog die Hand zurück und nickte dann Genevieve zu, die in ihrem kühlen gelben Kleid und dem schmalrandigen Hut einer zierlichen Schlüsselblume ähnelte. Sie tauschten Grüße aus, und Yves neigte sich wie ein Verschwörer Shirley zu.
»Meine Liebe, Sie sollten vielleicht den Sonnenschein ausnutzen und mich auf einer Fahrt begleiten. Nach dem Regen ist die Landschaft immer besonders schön.«
»Es tut mir Leid, aber Shirley ist heute vollauf beschäftigt«, antwortete Christophe, ehe sie zustimmen oder ablehnen konnte. Sie sah ihn verwundert an. »Ihre zweite Lektion«, sagte er glatt und übersah den Protest, der in ihr aufstieg.
»Lektion«, wiederholte Yves lächelnd. »Was lehrst du denn deine bezaubernde Cousine, Christophe?«
»Die Reitkunst«, gab er mit dem gleichen Lächeln zurück. »Jedenfalls zurzeit.«
»Sie könnten keinen besseren Lehrer finden.« Genevieve berührte leicht Christophes Arm. »Christophe lehrte mich das Reiten, als Yves und mein Vater mich bereits als hoffnungslosen Fall aufgegeben hatten. Er ist sehr geduldig.« Sie sah bewundernd zu dem schlanken Mann auf, und Shirley unterdrückte ein ungläubiges Lachen.
Christophe war alles andere als geduldig. Arrogant, herausfordernd, selbstherrlich, überheblich: Schweigend zählte sie die charakteristischen Eigenschaften des Mannes an ihrer Seite zusammen. Darüber hinaus war er zynisch und anmaßend.
Ihre Gedanken schweiften von der Unterhaltung ab, denn sie wurde von einem kleinen Mädchen in Anspruch genommen, das zusammen mit einem ausgelassenen jungen Hündchen auf einem Rasenstück saß. Abwechselnd bedeckte das Tier das Kindergesicht mit feuchten, begeisterten Küssen und tollte um das Mädchen herum, während es in ein hohes süßes Lachen ausbrach. Dieses entspannende unschuldige Bild nahm Shirley derart gefangen, dass es Sekunden dauerte, ehe sie auf das nächste Geschehen reagierte.
Der Hund schoss plötzlich über den Rasen zur Straße. Das Kind flitzte hinter ihm her und rief missbilligend seinen Namen. Shirley beobachtete die Szene regungslos, bis ein Auto sich näherte. Dann spürte sie auf einmal kalte Furcht, weil das Kind noch immer der Fahrbahn entgegenlief.
Ohne darüber nachzudenken, nahm sie die Verfolgung auf. Völlig außer sich rief sie dem Kind auf bretonisch zu, anzuhalten, doch das Interesse des Mädchens galt allein ihrem Liebling. Sie rannte über den Rasen, geradewegs auf das herbeifahrende Auto zu.
Shirley hörte die Bremsen quietschen, als sie mit beiden Armen das Kind umschloss. Sie fühlte einen heftigen Stoß, ehe sie zusammen mit dem Mädchen über die Straße geschleudert wurde.
Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille, dann brach ein Höllenlärm los: das Hündchen, auf dem Shirley lag, jaulte vorwurfsvoll, und das Kind jammerte und schrie laut nach seiner Mutter.
Erregte Stimmen mischten sich plötzlich in das Jaulen und Jammern ein und trugen nur noch zu Shirleys Benommenheit bei. Sie fand keine Kraft, sich von dem widerspenstigen Tier zu erheben, während das Mädchen sich aus ihrem Griff befreite und in die Arme der blassen, tränenüberströmten Mutter flüchtete.
Da beugte sich plötzlich eine vertraute Gestalt über Shirley und zog sie hoch. »Sind Sie verletzt?« Christophes Augen glühten. Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er ärgerlich fort: »Sind Sie wahnsinnig? Das hätte Ihr Tod sein können. Dass Sie noch einmal davongekommen sind, grenzt an ein Wunder.«
»Aber sie haben doch so lieb miteinander gespielt. Dann verzog sich der einfältige Hund auf die Straße. Hoffentlich habe ich ihn nicht verletzt, weil ich auf ihm lag. Das arme Tier war darüber bestimmt nicht begeistert.«
»Shirley.« Christophes wütende Stimme brachte sie wieder zur Besinnung. »Ich glaube wirklich, Sie haben den Verstand verloren.«
»Es tut mir
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