Das Schloss in Frankreich
Ihren Kummer zu verstärken, sondern um Ihnen diesen Kummer zu nehmen. Sie haben den Brief gelesen. Demnach wissen Sie auch, dass meine Eltern Ihnen nichts nachtrugen. Absichtlich ließen sie Sie in dem Glauben, dass sie Sie verraten haben. Vielleicht irrten sie sich, aber es ist geschehen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.« Sie umklammerte die schmalen Hände fester. »Ich möchte Ihnen nur sagen, dass ich Ihnen keinerlei Vorwürfe mache, und ich bitte Sie um meinetwillen, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.«
»Ach, Shirley, mein liebes Kind.« Die Gräfin blickte sie zärtlich an. »Es ist gut«, fügte sie unvermittelt hinzu. »Wir werden uns nur noch an die glücklichen Zeiten erinnern. Sie werden mir mehr von Gabrielles Leben mit Ihrem Vater in Georgetown erzählen und sie mir wieder näher bringen. Einverstanden?«
»Ja, Großmutter.«
»Vielleicht werden Sie mir eines Tages das Haus zeigen, in dem Sie aufwuchsen.«
»Sie meinen in Amerika?« Shirley war entsetzt. »Fürchten Sie sich nicht davor, in ein derart unzivilisiertes Land zu reisen?«
»Ziehen Sie keine übereilten Schlüsse.« Mit königlicher Anmut erhob sich die Gräfin. »Ich habe fast den Eindruck, als würde ich nun Ihren Vater über Sie kennen lernen, meine Kleine.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich darf überhaupt nicht daran denken, was mich dieser Raphael gekostet hat. Inzwischen bin ich froh, dass er nicht mehr existiert.«
»Es gibt aber noch die Kopie davon, Großmutter. Ich weiß, wo sie sich befindet.«
»Woher willst du das wissen?« schaltete sich Christophe ein. Es waren seine ersten Worte, seitdem sie den Raum betreten hatten.
Sie wandte sich ihm zu und lächelte. »Es stand im Brief, doch zunächst bemerkte ich es nicht. Erst eben, als du meine Hand hieltst, ging mir die Wahrheit auf. Schau dir diesen Ring einmal an.« Sie streckte die Hand aus, an der der Rubin schimmerte. »Er gehörte meiner Mutter, und sie trägt ihn auf dem Porträt.«
»Ich habe den Ring auf dem Bild bemerkt«, sagte die Gräfin zögernd, »aber Gabrielle besaß solch einen Ring nicht. Ich dachte, ihr Vater hätte ihn hinzugefügt, wegen der passenden Ohrringe.«
»Doch, Großmutter. Es war ihr Verlobungsring. Sie trug ihn immer zusammen mit dem Ehering an ihrer linken Hand.«
»Aber was hat dies mit der Fälschung des Raphael zu tun?« fragte Christophe ungehalten.
»Auf dem Bild trägt sie den Ring an der rechten Hand. Mein Vater hätte niemals einen solchen Fehler begangen, es sei denn, aus Absicht.«
»Das ist schon möglich«, erwiderte die Gräfin leise.
»Ich weiß, dass das Bild da ist. Das geht aus dem Brief hervor. Er sagte, dass er es hinter einem weit kostbareren Gegenstand verborgen hätte. Und nichts war kostbarer für ihn als meine Mutter.«
»Ja.« Die Gräfin betrachtete das Porträt ihrer Tochter sehr genau. »Es gäbe kein besseres Versteck.«
»Vielleicht finden wir es heraus, wenn ich eine Ecke abschabe«, schlug Shirley vor.
»Nein.« Die Gräfin schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt nicht mehr nötig. Selbst wenn sich der echte Raphael darunter befände, dürften Sie nicht einen Zoll von Ihres Vaters Werk vernichten.« Sie berührte Shirleys Wange. »Dieses Porträt, Christophe und du, mein Kind, sind mittlerweile meine größten Schätze. Lassen wir das Bild dort, wo es hingehört.« Lächelnd wandte sie sich zu ihren Enkeln um. »Ich werde euch jetzt verlassen. Liebende müssen unter sich sein.«
Wie eine Königin schritt sie davon. Shirley schaute ihr bewundernd nach. »Sie ist großartig, meinst du nicht auch?«
»Ja«, stimmte Christophe leichtherzig zu und nahm Shirley in die Arme. »Und sie ist sehr klug. Übrigens habe ich dich seit einer Stunde nicht mehr geküsst.«
Als er dieses Versäumnis zu gegenseitiger Genugtuung nachgeholt hatte, sah er sie mit dem üblichen Selbstbewusstsein an. »Wenn wir verheiratet sind, mein Liebling, werde ich dich porträtieren lassen. Dann gibt es noch eine andere Kostbarkeit auf diesem Schloss.«
»Verheiratet?« Shirley sah ihn vorwurfsvoll an. »Ich habe noch nicht in eine Heirat eingewilligt.« Sie machte sich widerstrebend von ihm los. »Das kannst du doch nicht einfach so befehlen. Eine Frau möchte vorher immerhin gefragt werden.«
Er zog sie an sich und küsste sie zärtlich.
»Was sagtest du, meine liebe Cousine?«
Sie sah ihn ernst an und legte die Hände um seinen Hals. »Ich werde nie eine gehorsame Ehefrau sein.«
»Hoffentlich
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