Das Schloss in Frankreich
Leid.« Sie fühlte sich leer und ausgelaugt. »Es war natürlich dumm, zunächst an den Hund zu denken und dann erst an das Mädchen. Ist ihr nichts passiert?«
In einem langen Atemzug fluchte er leise vor sich hin. »Nicht das Geringste. Sie ist jetzt bei ihrer Mutter.«
Shirley schwankte. »Es ist gleich vorüber.«
Sein Griff verstärkte sich auf ihren Schultern, und er beobachtete ihr Gesicht. »Fallen Sie jetzt etwa in Ohnmacht?« Er schaute sie zweifelnd an.
»Bestimmt nicht.« Sie versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, doch sie zitterte leicht.
»Shirley.« Genevieve kam auf sie zu, nahm ihre Hand und ließ alle Förmlichkeit außer Acht. »Das war so mutig von Ihnen.« Tränen umflorten die braunen Augen, und sie küsste Shirleys blasse Wangen.
»Sind Sie verletzt?« wiederholte Yves Christophes Frage. Doch er blickte sie eher betroffen als vorwurfsvoll an.
»Nein, es ist alles in Ordnung.« Unwillkürlich stützte sie sich auf Christophe. »Nur der kleine Hund ist schlimm dran, weil er unter mir lag.« Ich möchte mich hinsetzen, dachte sie erschöpft, bis die Welt sich nicht mehr um mich dreht.
Plötzlich redete die Mutter des Kindes tränenüberströmt in schnellem Bretonisch auf sie ein. Vor lauter Erregung sprach sie nur undeutlich, und der Dialekt war so breit, dass Shirley Mühe hatte, dem Wortschwall zu folgen. Die Frau wischte sich fortwährend mit einem zerknitterten Taschentuch die Tränen aus den Augen. Shirley hoffte, dass ihre Antworten korrekt waren. Sie war unglaublich müde und etwas verlegen, als die Mutter ihre Hände ergriff und sie in glühender Dankbarkeit küsste. Christophe bat die Frau, Shirley loszulassen. Sie zog sich zurück, nahm ihr Kind bei der Hand und verschwand in der Menschenmenge.
»Kommen Sie.« Er legte einen Arm um Shirleys Taille, und die Leute wichen zur Seite, als er sie zu der Kapelle zurückführte. »Ich finde, Sie und der Bastard sollten an eine kurze Leine gebunden werden.«
»Wie entgegenkommend von Ihnen, uns in einen Topf zu werfen«, murmelte sie. Dann erblickte sie ihre Großmutter, die auf einer kleinen Steinbank saß. Sie war bleich und wirkte auf einmal alt.
»Ich dachte, Sie würden überfahren werden.« Die Stimme der Gräfin war belegt. Shirley kniete vor der alten Dame nieder.
»Ich bin unverwüstlich, Großmutter«, behauptete sie mit einem vertrauensseligen Lächeln. »Das habe ich von meinen Eltern geerbt.«
Die schmale Hand umfasste fest Shirleys Gelenk. »Sie sind sehr aufsässig und widerspenstig«, erwiderte die Gräfin in etwas festerem Ton. »Und ich liebe Sie sehr.«
»Ich liebe Sie ebenfalls«, sagte Shirley einfach.
7. K APITEL
Nach dem Mittagessen bestand Shirley darauf, ihren Reitunterricht fortzusetzen. Sie widersprach energisch, sich längere Zeit auszuruhen und einen Arzt kommen zu lassen.
»Ich benötige keinen Doktor, Großmutter, und ich brauche auch keine Ruhepause. Mit mir ist alles in bester Ordnung.« Den Unfall am Morgen tat sie mit einem Achselzucken ab. »Das sind doch nur einige Prellungen und Quetschungen. Ich sagte Ihnen bereits, dass ich unverwüstlich bin.«
»Sie sind widerspenstig«, korrigierte die Gräfin.
»Das war eine fürchterliche Erfahrung für Sie«, schaltete sich Christophe ein und musterte Shirley kritisch. »Es wäre besser, wenn Sie Ihre Energie etwas mehr im Zaum hielten.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein.« Ungeduldig schob sie ihre Kaffeetasse beiseite. »Ich bin doch kein viktorianischer Schwächling, der sich vom Dunst seiner Hirngespinste treiben lässt und verhätschelt werden möchte. Wenn Sie nicht mit mir ausreiten wollen, werde ich Yves anrufen und seine Einladung zu dem Landausflug annehmen, den Sie an meiner Stelle ausgeschlagen haben. Ich werde keinesfalls am helllichten Tag zu Bett gehen wie ein Kind.«
»Einverstanden.« Christophes Augen wurden dunkler. »Sie kommen zu Ihrem Reitvergnügen, obwohl meine Lektion wahrscheinlich nicht so anregend sein wird wie Yves’ Ausflug aufs Land.«
Einen Augenblick lang schaute sie ihn bestürzt an, und dann färbten sich ihre Wangen. »Wie albern von Ihnen.«
»Treffen wir uns also in einer halben Stunde bei den Ställen«, unterbrach er sie, stand vom Tisch auf und schlenderte aus dem Zimmer, ehe sie ihn zurechtweisen konnte.
Mit empörtem Gesichtsausdruck wandte sie sich an ihre Großmutter. »Warum ist er so unerträglich grob zu mir?«
Mit einer ausdrucksvollen Schultergebärde und einem weisen Blick
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