Das Schloss in Frankreich
duftende Nachtluft und ein gut aussehender Mann, dessen Worte wie Poesie klingen.«
Yves seufzte schwer auf: »Ich fürchte, Sie haben die Widerstandskraft.«
Sie schüttelte leicht ironisch den Kopf. »Unglücklicherweise bin ich außerordentlich stark. Aber Sie sind ein charmanter bretonischer Wolf.«
Sein Lachen unterbrach die nächtliche Stille. »So gut kennen Sie mich also schon. Von Anfang an wusste ich, dass wir Freunde, jedoch nicht Liebende sein würden. Sonst hätte ich meinen Feldzug mit mehr Gefühl geführt. Wir Bretonen glauben sehr stark an die Vorbestimmung.«
»Es ist doch so schwierig, Freunde und Liebende zugleich
zu sein.«
»Ich denke genauso.«
»Dann wollen wir Freunde sein.« Shirley streckte die Hand aus. »Ich werde Sie Yves nennen und Sie mich Shirley.«
Er nahm ihre Hand und hielt sie einen Augenblick lang fest. »Es ist außergewöhnlich, dass ich mich mit Ihrer Freundschaft begnüge. Ihre erlesene Schönheit nimmt die Gedanken eines Mannes gefangen und lässt sie nicht mehr los.« Er machte eine ausdrucksvolle Geste, was mehr sagte, als eine dreistündige Rede. »Nun, so spielt eben das Leben«, bemerkte er fatalistisch. Shirley lachte leise, als sie wieder das Schloss betraten.
Am darauf folgenden Morgen begleitete Shirley ihre Großmutter und Christophe zur Heiligen Messe in das Dorf, das sie von der Hügelkuppe aus erblickt hatte. Schon in den frühen Morgenstunden hatte es leicht und anhaltend geregnet.
Es regnete noch immer, als sie ins Dorf fuhren. Der Regen durchtränkte die Blätter und senkte die Köpfe der Blumen schwer herab. Bestürzt konstatierte Shirley, dass Christophe sich seit dem vorangegangenen Abend in ungewöhnliches Schweigen hüllte. Die Dejots hatten sich bald nach Shirleys und Yves’ Rückkehr in den Salon verabschiedet. Christophe hatte sich charmant von seinen Gästen verabschiedet, Shirley jedoch keines Blickes gewürdigt.
Jetzt sprach er fast ausschließlich mit der Gräfin. Nur gelegentlich richtete er das Wort an Shirley, höflich, mit einer kaum merklichen Feindseligkeit, die sie bewusst nicht zur Kenntnis nahm.
Der Mittelpunkt des kleinen Dorfs war die Kapelle, ein winziges weißes Gemäuer. Das sauber gepflegte Grundstück stand in fast komischem Gegensatz zu dem hinfälligen Bau. Das Dach war in letzter Zeit mehrmals repariert worden, und die einzige Eichentür am Eingang war verwittert, altersschwach und abgenutzt vom ständigen Gebrauch.
»Christophe wollte eine neue Kapelle errichten lassen«, bemerkte die Gräfin. »Doch die Dorfbewohner sträubten sich dagegen. Hier haben ihre Vorfahren jahrhundertelang gebetet, und hier werden sie auch weiterhin ihren Gottesdienst verrichten, bis die Kapelle in Staub zerfällt.«
»Sie ist bezaubernd«, erwiderte Shirley. Der leicht verfallene Zustand verlieh dem winzigen Gebetshaus eine gewisse unerschütterliche Würde und einen Abglanz von Stolz, zugleich war es Zeuge von Taufen, Trauungen und Bestattungen durch die Jahrhunderte.
Die Tür knarrte heftig, als Christophe sie öffnete und die beiden Frauen vorangehen ließ. Der Innenraum war dunkel und still, die hohe Balkendecke vermittelte den Eindruck von Weiträumigkeit.
Die Gräfin ging zum vorderen Kirchenstuhl und nahm ihren Platz zwischen den Sitzen ein, die seit mehr als drei Jahrhunderten den Bewohnern von Schloss Kergallen vorbehalten waren.
Shirley erkannte Yves und Genevieve im engen Chorgang des Seitenschiffs und lächelte ihnen zu. Genevieve lächelte zurück, und Yves blinzelte sie kaum wahrnehmbar an.
»Dies ist kaum der geeignete Ort für einen Flirt, Shirley«, flüsterte Christophe, als er ihr aus dem feuchten Trenchcoat half.
Sie errötete und fühlte sich ertappt wie ein Kind, das in der Sakristei kichert. Eine scharfe Erwiderung lag ihr auf der Zunge, doch da näherte sich ein älterer Priester dem Altar, und der Gottesdienst begann.
Ein Gefühl des Friedens erfüllte Shirley. Der Regen schloss die Gemeinde von der Außenwelt ab, und sein sanftes Flüstern auf dem Dach wirkte eher beruhigend als ablenkend. Der alte Geistliche sprach bretonisch, und die Gemeinde antwortete ihm leise. Das gelegentliche Wimmern eines Kindes, gedämpftes Husten und die Regentropfen auf dem dunklen bunten Fensterglas gemahnten an eine friedliche Zeitlosigkeit. Während Shirley in dem abgenutzten Kirchenstuhl saß, empfand sie den Zauber der Kapelle und verstand die Weigerung der Dorfbewohner, dieses bröcklige Gebäude zugunsten eines
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