Das Schloß
eigentlichen Schreiben vor.
1912 entsteht in einer einzigen Nacht
Das Urteil
. »Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele«, die Geschichte sei »wie eine regelrechte Geburt mit Schmutz und Schleim« aus ihm herausgekommen. Sie wird nach einer öffentlichen Lesung sofort erkannt als »Durchbruch eines großen, überraschend großen, leidenschaftlichen und disziplinierten Talents«. Gewidmet ist sie Felice Bauer.
Die 24 jährige Berlinerin Felice hatte K. bei Brod kurz gesehen, und eine ihn zerreißende Beziehung begann. Sein umfangreichstes Briefwerk entsteht, in dem er um Felice wirbt, sich darstellt, verteidigt und angreift. Der »Kampf« um Felice, der »andere Prozeß« (Elias Canetti), z.T. zeitgleich mit der Entstehung des Romans
Der Prozeß
, dauert bis Ende 1917 : Juni 1914 kommt es zur Verlobung, im Juli wird sie wieder gelöst. 1917 erfolgt die zweite Verlobung, im Dezember die endgültige Trennung, vorgeblich wegen K.s Erkrankung. Den Ausbruch einer offenen Lungentuberkulose sieht K. selbst als befreiende Folge der Auseinandersetzung mit Felice, die er sucht, wenn er nicht schöpferisch tätig ist, und die er flieht mit all ihren bürgerlichen Vorstellungen von Ehe, Reputation und Wohnung, sobald er sich seines Schreibens sicher ist: »So geht es nicht weiter, hat das Gehirn gesagt, und nach fünf Jahren hat sich die Lunge bereit erklärt zu helfen.«
Das Urteil
steht als erste größere Arbeit K.s in einem Jahrbuch des Kurt-Wolff-Verlags. Mit ihm hatte Brod den Freund auf einer Ferienreise nach Weimar zusammengebracht, wohin sie die Verehrung Johann Wolfgang Goethes führte. Wolff sammelte nach und nach die wesentlichsten, seit 1914 pauschal als »Expressionisten« bezeichneten jungen Dichter; auch K., dessen Bücher nun hier erscheinen, wird deshalb irrtümlich von vielen Zeitgenossen als Expressionist missverstanden.
Das Urteil
und die sofort darauf entstandenen Erzählungen
Die Verwandlung
( 1916 ) und
Der Heizer
( 1913 ), die K. unter dem Titel
Söhne
zusammenfassen wollte, variieren freilich das damals als expressionistisch empfundene Thema des Vater-Sohn-Konflikts, wenn auch auf die eigentümlichste Weise. In jeder der drei Novellen führt der Schuldspruch des Vaters zum Tod des Sohnes, und jedes Mal ist eine Art von Verführung der Anlass. In der
Verwandlung
erwacht der Sohn, der als Ernährer der Familie die Rolle des Oberhaupts übernommen hat, eines Morgens als »ungeheueres Ungeziefer«; der Vater kann seine Autorität zurückgewinnen, der Sohn wird allmählich eins mit seiner Mistkäfer-Gestalt und weiß, dass er zu »verschwinden« hat; eine Putzfrau wirft seine Überreste in den Müll. Die scheinbar einsinnige Geschichte ist gleichwohl mehrschichtig angelegt; mythologische, tiefenpsychologische und gesellschaftspolitische Bezüge sind erkennbar, so dass eine Ausdeutung der Vaterfigur möglich oder nötig ist: beispielsweise als Personifikation von Macht schlechthin, die den Menschen zum Tier deformiert, oder präziser, etwa als Kapitalismus, womit die Verwandlung den Prozess der Entfremdung symbolisieren könnte. Die
Verwandlung
ist die erste Erzählung, die eine Tiermetapher geschlossen durchkomponiert; zahlreiche »Tiergeschichten« werden ihr folgen. Der Roman
Der Verschollene
(
Amerika
), 1927 , dessen erstes Kapitel der als »Fragment« erschienene
Heizer
darstellt, bleibt wie viele andere Erzählungen unvollendet: Auch darin wiederholt sich das Misslingen im Leben K.s und seiner Gestalten.
Obwohl K. vom Kriegsdienst freigestellt ist, kann er sich dem Krieg nicht entziehen: Prag ist frontnahe Großstadt, und so flüchten vor allem die polnischen Juden aus den Kriegsgebieten hierher. K. vollendet 1914 die zeitkritische Novelle
In der Strafkolonie
, die Kurt Tucholsky nach ihrer Veröffentlichung (erst 1920 ) als »unbedenklich wie Kleist« rühmen wird. Ein neuer Roman
Der Prozeß
entsteht und bleibt bis 1925 liegen; »Fräulein Bürstner«, Ursache der Verhaftung »K.s« verweist hier mit ihren Initialen auf Felice Bauer wie das Kürzel für die Hauptgestalt auf den Dichter selbst. Im Lauf des Krieges intensiviert sich K.s Verhältnis zum Zionismus, auch der Umgang mit Flüchtlingen nähert ihn dem Ostjudentum. Die Erzählungen des Buches
Ein Landarzt
( 1916 / 17 ) stehen in Verbindung zu chassidischen Geschichten, wie sie u.a. Martin Buber sammelte, der sich seit langem für das neue Judentum
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