Das Schmetterlingsmädchen - Roman
nehme an, er hasst mich.« Sie verlagerte ihre Tasche auf die andere Schulter. »Und wie gesagt, er ist nicht mein Typ.«
Cora, die immer noch nach vorn schaute, räusperte sich. »Aber du hast ihm vorgemacht, dass er dein Typ wäre, Louise. Du hast ihm wehgetan. Und trotzdem hat er dich nach Hause gebracht. Du könntest dich ruhig bei ihm bedanken. Und entschuldigen. Oder ihm wenigstens Lebewohl sagen.«
Louise blieb stehen. Cora ebenfalls. Eine alte Frau schob sich murrend an ihnen vorbei.
»Was kümmert es Sie?«
Cora seufzte und verscheuchte eine Fliege. Eine alberne Frage. Natürlich kümmerte es sie. Ihr lag etwas an Floyd, aber abgesehen davon wusste sie, dass es Louise guttun würde, nicht nur an ihre eigenen Gefühle, sondern auch an die anderer Menschen zu denken, und keine Angst vor echter Freundlichkeit und Fürsorge zu haben. In all den Wochen, die sie miteinander verbracht hatten, hatte sie gewusst, dass Louise eine Ersatzmutter brauchte, jemanden, der den Platz einnahm, den Myra offensichtlich schon vor langer Zeit geräumt hatte. Trotzdem war Cora jetzt klar, dass sie sich in New York die ganze Zeit auf die falschen Dinge konzentriert hatte – was das Mädchen anzog, ob sie allein ausging, ob sie Rouge auflegen durfte. Nichts davon war wirklich wichtig, nicht im Vergleich zu den Dingen, die Louise als Anleitung und Vorbild tatsächlich brauchte. Louise war zu freundlichen Gesten fähig – immerhin hatte sie, nicht Cora, an ihrem ersten Abend in New York diesen durstigen Männern etwas zu trinken angeboten. Und auch jetzt war nicht zu übersehen, dass es Louise nicht gerade freute, Floyd verletzt zu haben, und dass sie ihn zwar nicht liebte und bestimmt nie lieben würde, ihn aber wenigstens ein bisschen vermisste und begriff, dass sie ihm Unrecht getan hatte. Es war eine letzte Gelegenheit, dachte Cora. Nun, da sie bald getrennte Wege gehen würden und sie wusste, was Louise in ihrem Leben mitgemacht hatte, wünschte Cora, sie hätte mehr Gewicht auf das Wesentliche gelegt: Wann es an der Zeit war, »Danke« und »Es tut mir leid« zu sagen.
»Ich glaube, dir ist nicht wohl dabei.« Cora verrückte ihren Hut. Ihr war bewusst, dass sich die Menschen um sie herum bewegten, als wären sie Felsen in einem schnell fließenden Strom. »Ich kann es deinem Gesicht ansehen. Du weißt, dass du mit ihm reden solltest. Du weißt, dass es das Richtige ist.«
Louise starrte auf den Bürgersteig und strich sich ihr Haar hinter die Ohren. Ihr Schmollmund wirkte echt, nicht aufgesetzt.
»Gleich jetzt? Ich bin ganz verschwitzt vom Tanzen.«
»Du siehst gut aus. Du riechst gut. Und das weißt du auch.«
»Sie lassen mich allein gehen?«
»Eine Stunde.« Cora rieb sich den Mückenstich in ihrem Nacken. »In einer Stunde bist du in der Wohnung. Und du gehst nirgendwo sonst hin. Habe ich dein Wort darauf?«
Louise starrte sie mit leerem Blick an.
»Dein Wort, Louise. Dein Versprechen. Ich vertraue dir. In einer Stunde?«
»Na gut.«
»Dein Wort?« Cora wollte ihr unmissverständlich klarmachen, worum es ihr ging. »Ich habe dein Wort?«
»Ja. Ja, okay?« Sie wirkte eher verwirrt als verärgert. »Ja. Sie haben mein Wort.«
Cora nickte. »Dann viel Glück.« Sie drehte sich um und ging allein weiter.
In der Wohnung war es kaum kühler als auf der glühend heißen Straße. Cora ging ins Schlafzimmer, stellte den Ventilator an und zog sofort Rock, Bluse und Korsett aus. Sie wollte ein leichtes Nachmittagskleid anziehen, überlegte es sich dann aber anders – ihr dünner Morgenmantel war angenehmer. Außerdem war sie müde. Die Leintücher waren inzwischen trocken und wehten im offenen Fenster in der Brise hin und her. Sie nahm sie ab, machte das Bett und strich die Falten mit der flachen Hand glatt. Morgen. Morgen würden Joseph und sie in diesem Bett liegen, auf diesen Laken, die noch warm von der Sonne waren. Wie viel Zeit würden sie haben? Drei Stunden? Vier? Vielleicht blieb genug Zeit, um mit ihm im Wohnzimmer zu sitzen und etwas zu essen oder einfach mit ihm im Bett zu liegen, wie heute Morgen, Haut an Haut. Das Festmahl vor der Hungersnot. Sie legte die zusammengefaltete Decke ans Bettende, löste ihr Haar, legte sich hin und starrte an die Decke. Der Wasserfleck sah nicht mehr wie ein Kaninchenkopf aus. Es war ihr ein Rätsel, wie sie je auf diese Idee gekommen war.
Zweifaches Klopfen an der Tür. Dann vier Mal.
Sie stand verärgert auf und band ihren Morgenmantel zu. Sie hatte gehofft, Louise
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