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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Frage nicht verstanden hatte, dass ihr Englisch zu sehr vom Akzent des Mittelwestens geprägt war, zu verschliffen oder zu schnell war. Sie versuchte es noch einmal. »Du hast hier viel Schlimmes erlebt. Fragst du dich nicht manchmal, ob das Ganze nicht ein Fehler war? Dass du eher dort sein solltest, bei Menschen, die mit dir verwandt sind? Wo deine Geschichte ist?«
    Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal energischer. »Deutschland ist das Land, wo ich geboren wurde«, sagte er. »Mehr nicht. Ich sollte dort sein, wo ich hingehe.«
    Wenig später lagen sie auf seinem schmalen Bett und sie half ihm, die Knöpfe an ihrer Bluse zu öffnen. Und selbst in diesem Moment graute ihr vor dem, was sie sagen musste, vor den Worten, die sie aussprechen musste.
    »Ich kann nicht schwanger werden.« Sie stieß es mit geschlossenen Augen hervor. Wirklich, das war der größere, der schwerere Sprung, noch schwerer, als an seine Tür zu kommen. »Ich meine, ich kann schon. Es ist möglich, aber ich darf es nicht, hat der Arzt gesagt. Und ich will es nicht.«
    Sie machte die Augen auf. Er zog sein Gesicht von ihrem zurück. Er sah beunruhigt aus, und seine Brille saß schief. Sie hörte das tiefe Tuten eines Dampfers.
    »Okay. Tut mir leid.« Er rollte sich von ihr herunter, legte die Hände hinter den Kopf und sah an die Decke.
    Sie setzte sich auf. Er hatte sie missverstanden. Sie hatte keine Zeit für Missverständnisse. »Ich will nicht schwanger werden, meine ich. Das ist es, was ich nicht will.«
    Er sah sie überrascht an, und wieder hatte sie das Gefühl, in die Tiefe zu fallen, hatte Angst, was er denken könnte. Deshalb wurden Margaret Sanger und ihr Gerede über Geburtenkontrolle obszön genannt. Was Cora gerade eben Joseph und sich selbst eingestanden hatte, änderte alles: Sie war nicht in Trance zu seinem Bett gegangen. Sie hatte sich nicht in einem Moment der Schwäche verführen lassen. Nein. Sie lag hier bei ihm, weil sie es so wollte, und war klar genug im Kopf, um aufzuhören und über den Augenblick hinauszudenken und auch zu wissen, was sie nicht wollte.
    Vielleicht hielt er sie für abartig, für unweiblich. Es gab diverse Bezeichnungen für die Art Frauen, die so etwas sagten, was sie gerade gesagt hatte. Sie schob ihren Arm über ihre Brust, über ihre aufgeknöpfte Bluse.
    Aber in seinen Augen lag weder Verachtung noch Verurteilung. Tatsächlich sah er genauso verlegen aus wie sie. »Ich habe nichts hier.« Er breitete die Hände aus, als wollte er es beweisen. »Tut mir leid. Ich lebe allein.«
    Sie wartete. Sie konnte nichts mehr sagen. Sie hatte schon mehr gesagt, als sie je für möglich gehalten hätte.
    Er räusperte sich. »Ich kann … möchtest du, dass ich etwas besorge?«
    Sie brachte ein Nicken zustande. Er lachte, und so unglaublich es schien, auch sie musste lachen.
    »Du wartest hier?«
    Wieder nickte sie. Glaubte er etwa, dass sie mitgehen würde? Nein. Niemand würde ihn weiter beachten, egal, was er kaufte und wo immer er es kaufte. Sie hingegen würde anders behandelt werden.
    »Eine Viertelstunde. Okay?« Er stand auf und stopfte sein Hemd in die Hose, und sie begriff, dass er sie nicht gebeten hatte, mit ihm mitzugehen. Er hatte nur wissen wollen, ob sie bereit war, auf ihn zu warten.
    Nachdem er gegangen war, erlaubte sie sich einen näheren Blick auf die gerahmte Fotografie, die auf dem Eisschrank stand. Sie war ihr gleich beim Hereinkommen aufgefallen, aber sie hatte es angesichts der Umstände und auch, weil es ihm gegenüber nicht fair gewesen wäre, für besser gehalten, nicht danach zu fragen oder auch nur länger hinzusehen. Er hatte nicht gewusst, dass sie heute Abend kommen würde. Wie er gesagt hatte, lebte er allein in diesem Zimmer. Aber jetzt war er weg, und als sie näher trat, stellte sie fest, dass auf dem Foto zu sehen war, was sie vermutet hatte: Joseph mit vollem Haar und in einem guten Anzug, eine Hand auf der Schulter einer sitzenden Frau, die ein Kind im Taufkleidchen im Arm hielt. Es war ein formelles Bild, und die beiden Erwachsenen machten ernste Gesichter, aber das Baby, das die Regeln nicht kannte, schien genau in dem Moment, als es lachte, festgehalten worden zu sein.
    Cora spürte, wie ihr sofort die Tränen kamen. Greta. Ein glückliches Baby, das nicht ahnen konnte, was ihm alles bevorstand. Grippe. Der Tod der Mutter. Die lange Abwesenheit des Vaters in Georgia. Einsamkeit. Vermutlich Hunger. Das New York Home for Friendless Girls, auch nach der

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