Das Schmetterlingsmädchen - Roman
erstaunlich munter aus. Sie schenkte Cora kaum einen Blick und schien sich nicht an den problematischen Morgen vor ihrer Abfahrt zu erinnern.
»Mein Gott, tut es gut, wieder zu Hause zu sein!«, verkündete sie, als sie die Treppe hinaufgingen. »Ich meine, Philadelphia ist okay. Auf jeden Fall einen Schritt weiter als Wichita. Einen großen Schritt, weiß Gott. Das Publikum war fantastisch, sehr kultiviert. Man hat den Leuten angemerkt, wie toll sie uns fanden. Aber eines war wirklich seltsam: Schon die eine Nacht, die ich nicht in New York war, habe ich mich absolut leer gefühlt. Hier fühle ich mich einfach zu Hause.« Als sie auf den Bürgersteig trat, atmete sie tief ein und betrachtete den Broadway und die Hochhäuser ringsum. »Merkwürdig, oder, dass ich eine so starke Bindung an einen Ort habe, der noch neu für mich ist? Ich komme nicht mal von hier.«
Coras Antwort schien sie nicht wirklich zu interessieren, da sie ihr keine Zeit ließ, etwas darauf zu erwidern. Im Gehen redete sie darüber, was für ein traumhafter Partner Ted Shawn auf der Bühne war, und über die hautfarbene Körperschminke, die alle Tänzer auftragen mussten, damit sie rein technisch nicht halb nackt waren, dass die Farbe nach Hamamelis roch und wie albern ihr das Ganze vorkam. Cora, die über Louises Bemerkung über die Bindung an einen Ort nachdachte, hörte nur mit halbem Ohr zu. Wenn das merkwürdig war, dann war auch Cora merkwürdig – denn trotz allem, was vorgefallen war, wollte sie nach Wichita zurückkehren. Sie wusste bereits, dass sie den Rest ihres Lebens voller Sehnsucht und mit echter Trauer an die wenigen verbleibenden Tage mit Joseph denken würde. Aber sie vermisste ihr Zuhause. Sie vermisste die ruhigen Straßen, die sie so gut kannte, den freien Blick auf den Himmel. Sie vermisste es, von Freunden, die sie seit fast zwanzig Jahren kannte, bei ihrem Namen gerufen zu werden. Nach dem Verlust der Kaufmanns hatte die Stadt sie mit offenen Armen aufgenommen und ihr das Gefühl gegeben, dazuzugehören. Dort war sie kein Außenseiter, und das bedeutete ihr auch jetzt noch sehr viel.
Wie auch immer, sie musste zurück nach Wichita. Natürlich musste sie. Ihre Jungs würden in den Ferien kommen, und ihr Zuhause sollte so sein, wie es immer gewesen war – mit ihrer Mutter, die Pfannkuchen für sie backte und sich nach ihren Lektionen und Spielen und Plänen erkundigte. Und auch ohne die Jungs hätte sie Alan nicht einfach verlassen können. Er war ihre Familie, genauso wie ihre Jungs. Er hatte sie belogen, ja, aber er hatte auch für sie gesorgt und war ein liebevoller Vater gewesen. Wenn sie ihn jetzt verließ, würde es einen Skandal geben und später vielleicht Gerede. Er würde wieder heiraten und, um sein Leben bangend, hoffen müssen, dass sich seine neue Braut als genauso naiv, wie Cora einmal gewesen war, oder als genauso loyal erwies, wie sie es jetzt war.
Sie waren nicht mehr weit von ihrer Wohnung entfernt, als ihr auffiel, dass Louise sie forschend ansah. Coras Hand fuhr zu ihrer geröteten Wange. Die dunklen Augen bohrten sich in ihre Haut.
»Was ist?«, fragte Cora und wandte den Blick ab.
»Seit wann hören Sie mir eigentlich nicht mehr zu? Mein Gott! Ich schätze, ich führe hier Selbstgespräche.«
»Tut mir leid, Liebes. Worum geht’s?«
»Wie ich gerade sagte, hat Miss Ruth mir gesagt, dass ich übermorgen einziehen kann. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
»Danke.« Cora täuschte ein Lächeln vor. Freitag. Ihr letzter Tag. Es gab keinen plausiblen Grund, länger zu bleiben. Sie konnte den Brooks mitteilen, dass sie morgens aufbrechen wollte. Dann also Sonnabend. Noch drei Nächte in New York. Sie stellte sich vor, wie sie im Zug saß, aus dem Fenster schaute und dieselben Felder und Städte und Flüsse sah, an denen sie auf dem Hinweg mit Louise vorbeigekommen war, jede Brücke noch einmal überquerte. Sie könnte sich ein neues Buch für die Fahrt kaufen, leichte Unterhaltung. Schon Samstagabend würde sie wieder in ihrem Heim sein und sich in seine Annehmlichkeiten und Mängel fügen. Und Joseph würde hier sein.
Louise verstummte, als sie an der Imbissstube vorbeigingen. Cora beobachtete, wie sie durch die großen Fenster zur Theke spähte. Sie wirkte ein wenig reumütig oder zumindest bekümmert, dass sie einen Freund verloren hatte.
»Du könntest hineingehen und mit ihm reden«, sagte Cora freundlich. »Versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen.«
Louise ging weiter. »Ich
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