Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Schulter. Sie war sich ganz sicher, mit jeder Faser ihres Seins. Er war es, den sie überzeugen musste.
»Komm mit mir mit«, sagte sie.
Er runzelte die Stirn. »Wohin?«
»Nach Wichita. Nimm sie mit. Wir haben ein großes Haus. Leere Zimmer.« Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Sie musste sprechen, bevor er etwas sagte, ihre Argumente vorbringen, bevor er sich davor verschloss.
»Dann könnte sie bei dir bleiben. Was sollst du sonst machen? Wir haben eine ganze Etage, die leer steht. Greta könnte zur Schule gehen.«
Schon schüttelte er den Kopf. »Hör auf. Ich will keine Almosen von dir.«
Aber es waren keine Almosen. Ganz und gar nicht. Wie konnte sie ihm begreiflich machen, was sie jetzt klar und deutlich vor sich sah? Was hatte sie schon in Wichita, nun, da die Jungs weg waren? Mittagessen im Club? Dinnerpartys? Nein. Sie musste diesem Kind helfen. In der Grand Central Station hatte sie von der armen Mary O’Dell nichts erfahren, nicht das Geringste darüber, wer sie eigentlich war. Und warum auch? Sie hatte die ganze Zeit die Kaufmanns gehabt. Sie hatte sie sogar jetzt noch, als wären sie hier bei ihr in diesem Raum, um sie zu ermutigen. Wir würden uns freuen, wenn du mit uns mitkommst und unser kleines Mädchen bist. Sie erinnerte sich, wie sich Mutter Kaufmann mit ihrer Haube auf dem Kopf zu ihr heruntergebeugt hatte. Wir haben schon ein Zimmer eingerichtet. Dein Zimmer. Mit einem Fenster und einem Bett. Und einer kleinen Kommode.
»Natürlich würdest du dir deinen Lebensunterhalt selbst verdienen, Joseph. Du könntest dort Arbeit finden, gute Arbeit.« Sie hörte das Flehen, die Verzweiflung in ihrer Stimme. Sie flehte um ihrer selbst willen. Sie wollte diesem Kind helfen, so wie ihr geholfen worden war, aber sie wollte auch mehr Zeit mit ihm haben, ihn nur sehen, nur sehen. Wenigstens ein Teil von ihr glaubte, dass sie das verdient hatte.
»Mein Mann hat Einfluss. Er könnte dir helfen, einen Job zu finden, und während du arbeitest, kann ich auf sie aufpassen.«
Er sah sie an, als wäre sie verrückt, als würde nichts von dem, was sie sagte, irgendeinen Sinn ergeben. »Warum sollte dein Mann mir helfen?«
»Weil er mir etwas schuldet.« In dem Moment, als sie es aussprach, erkannte sie, dass es stimmte. »Und weil er ein guter Mensch ist.« Sie hielt ihre Hand an ihren Mund. Ihr war klar, wie abwegig ihr Vorschlag klingen musste. Sie bat ihn, blindlings den Schritt ins Unbekannte zu wagen und seine Tochter mitzunehmen. Er kannte Wichita nicht. Er kannte Alan nicht. Und im Grunde kannte er auch sie nicht, jedenfalls nicht gut genug, um sein Schicksal, das Schicksal seiner Tochter in ihre Hände zu legen. Und sie kannte ihn kein bisschen besser. Andererseits, wie gut hatte sie Alan gekannt, als sie mit ihm den Schritt ins Unbekannte wagte? Und sie hatten alles so gemacht, wie es sich gehörte, die lange Zeit, in der Alan um sie warb, die Verlobungsfeier, das Einverständnis seiner Familie und der Lindquists. Trotz all der Umsicht, dem Festhalten an Traditionen, war sie gründlich getäuscht worden. Wusste sie nicht jetzt schon mehr über Joseph? Oder wenigstens so viel, wie ein Mensch über den anderen wissen konnte?
»Du kannst jederzeit hierher zurückkommen. Wenn Greta nicht glücklich ist, wenn du nicht glücklich bist, gehst du einfach nach New York zurück.« Sie hielt ihre Hände nahe an ihrem Körper. Sie wollte ihn jetzt nicht berühren – sie wollte nicht, dass er sie missverstand. »Ich kaufe Rückfahrkarten für euch. Für dich und für sie. Ich gebe sie dir noch vor der Abfahrt, damit du sie bei dir hast. Du könntest zurückkommen und wärst nicht schlechter dran als jetzt.«
Sie sah ihn an und wartete. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte, womit sie ihn noch überzeugen könnte. Vielleicht war es anmaßend, zu glauben, dass sie das war, was Greta brauchte. Aber sie glaubte, dass sie es sein könnte. Und was hatten die Kaufmanns gewusst? Was hatten sie bei ihr vorausgesetzt? Sie wollte nur die Chance, es zu versuchen. Wenn es sein musste, würde sie ihn auf Knien darum bitten.
Sie hörte draußen im Treppenhaus Schritte, dann das Klappern einer Türklinke. Ihre Hand fuhr an ihre Kehle; die Wohnungstür war nicht abgesperrt. Louise. Sie hatte Wort gehalten. Cora schlang den Gürtel ihres Morgenmantels enger um sich und schob sich an Joseph vorbei. Sie musste zur Wohnungstür gehen. Sie befürchtete, dass Louise einen Schreck bekam und zu schreien anfing und Greta
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