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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Fruchtstücke in ihren Schoß.
    »Immer langsam«, ermahnte Joseph sie. »Du willst doch nicht ersticken, oder?«
    »Und es gibt reichlich«, fügte Cora hinzu. Sie hielt sich an der Tischkante fest und bückte sich. »Wir haben noch mehr Orangen. Und du kannst so viel Toast essen, wie du willst. Kein Grund zur Eile.« Sie lächelte, aber als sie die scharf geschnittenen Gesichtszüge des Mädchens ansah, spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Was glaubte sie eigentlich – dass ein kärgliches Mahl von Toast und Orangen den Schaden, den sie angerichtet hatte, wiedergutmachen könnte? All das war ihre Schuld. Sie war aus eigenem Antrieb zu Joseph gegangen, ohne Einladung. Einfach nur, weil sie es so wollte. Jetzt konnte sie in ihr sorgloses Leben zurückkehren, während die beiden den Preis zahlen mussten.
    Joseph berührte sie am Arm. »Ist schon in Ordnung, wirklich«, raunte er ihr zu. »Wir können nach Queens fahren. Ich wollte bloß nicht, dass du denkst …«
    Sie nickte. Sie wollte ihm so gern glauben. Vielleicht würde alles gut gehen. Vielleicht fand er eine andere Arbeit und konnte seine Tochter bei sich behalten. Er hatte Ersparnisse. Sie konnte versuchen, ihm Geld zu geben. Sie wusste jetzt schon, dass er es nicht annehmen würde.
    Als der Toast fertig war, verschlang Greta eine dick mit Marmelade bestrichene Scheibe.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass dir Marmelade bestimmt schmecken wird«, sagte Joseph, und er und das Mädchen tauschten ein Lächeln aus, das bei beiden ganz ähnlich war, wie Cora feststellte. Er sah Cora an. »Können wir reden?« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Küche.
    Als Cora aufstand, beugte sie sich zu Greta vor. »Du kannst die Marmelade mitnehmen«, sagte sie. »Das ganze Glas.« Fast hätte sie den dünnen Arm des Mädchens berührt, besann sich dann aber eines Besseren. Niemandem war geholfen, wenn sie die Fassung verlor.
    Sie führte Joseph durch die Küche ins Schlafzimmer. Sie sah das Bett, die frisch gewaschenen Leintücher, auf denen sie eben noch gelegen und von morgen geträumt hatte, von dem Treffen, das nun nie stattfinden würde. Weil sie von Greta nicht gesehen und auch nicht gehört werden wollte, ging sie ins Badezimmer weiter. Als sie sich zu Joseph umdrehte, weinte sie schon, kühle Tränen, die über ihre Wangen liefen.
    »Haben die Nonnen mich gesehen?«, flüsterte sie. »War das der Grund?«
    Er trat zu ihr. »Ich habe es dir nur gesagt, damit du es weißt. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.« Seine Hand strich über ihre Wange und dann über ihr Haar.
    »Es ist meine Schuld.«
    »Nein.«
    »Warum haben die Nonnen auch Greta weggeschickt? Sie kann doch nichts dafür.«
    »Haben sie nicht. Sie wollten sie dabehalten, aber ich habe Nein gesagt. Ich will sie bei mir haben.«
    Sie nickte. Auf einmal fühlte sie sich leer und ausgebrannt. Ja. Er hatte recht. Wenn Greta in den Zug kam, war sie für ihn verloren.
    »Kannst du bei diesem Freund bleiben? Kannst du dorthin? Sicher?«
    »Ja. Er ist ein guter Freund.«
    »Für wie lange? Wie lange könnt ihr dortbleiben?«
    Er zuckte die Achseln. Er machte ihr etwas vor, dachte Cora. Er hatte Angst. Er musste Angst haben.
    »Wo wirst du arbeiten? Wer soll sich um sie kümmern, wenn du arbeitest?«
    Er senkte den Blick und knetete mit Daumen und Zeigefinger die Haut über seinen Augenbrauen. Trotz des offenen Fensters und des Verkehrs unten auf der Straße war es in der Wohnung still. Vom Badezimmer konnte sie zwei Zimmer weiter hören, wie das Messer ans Glas klirrte. Greta nahm sich noch mehr Marmelade. Cora lauschte genauso unglücklich wie als junge Mutter, wenn sie einen ihrer Jungs in einem anderen Zimmer hatte jammern hören. Es war ein anderes Jammern, verstohlen und leise. Greta glaubte nicht, dass die fremde Dame ihr wirklich das ganze Glas mitgeben würde, und aß deshalb jetzt, so viel sie konnte, auch wenn sie vielleicht schon satt war. Cora verstand sie. Sie hatte bei ihren ersten Mahlzeiten bei den Kaufmanns dasselbe gemacht. Sie hatte Kartoffelpüree gegessen, bis sie Bauchweh bekam; sie hatte ganze Brötchen in den Falten ihres Rockes versteckt und sie in ihr Zimmer geschmuggelt.
    Wieder kratzte das Messer an das Marmeladenglas, und auf einmal, genau in diesem Moment, wusste sie die Antwort. Sie holte tief Luft und hielt den Atem an. Natürlich. Sie hörte den Motor eines Lastwagens, das Gurren von Tauben, und trotzdem schien die Welt still und ruhig. Sie legte ihre Hand auf Josephs

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