Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
Vom Netzwerk:
Rückkehr des Vaters. Die nächsten Jahre würden für sie alle drei grausam sein. Cora traute sich nicht, das Bild anzufassen, aber sie beugte sich vor, um Josephs jüngeres, faltenloses Gesicht und noch eingehender die Ehefrau und Mutter zu betrachten, die helles Haar hatte und ein bisschen untersetzt und noch hübscher war, als Cora sich vorgestellt hatte. Aber sie empfand keine Eifersucht, keine kindische Abneigung oder das Verlangen, das Bild umzudrehen, nur tiefes Mitgefühl für diese glücklose Mutter mit den ernsten Augen. Wenn überhaupt, wirkten die Jugend und Schönheit der Toten wie ein Vorwurf, nicht weil Cora jetzt hier war, die erste Frau in diesem kleinen Zimmer, sondern weil sie so lange damit gewartet hatte. Sie hatte viel zu viel Zeit ihres Lebens sinnlos verschwendet, indem sie sich an unsinnige Regeln hielt, als hätten sie und er, als hätte irgendjemand alle Zeit der Welt.
    Sie müssten eine Weile vor Tagesanbruch gehen, sagte er, bevor die Nonnen auf den Beinen waren. Er wollte sie nach Hause bringen. Cora schlug vor, frühstücken zu gehen. Als er zögerte, versetzte es ihr einen leisen Stich. Stimmte es also, was man sich über die Männer erzählte? Verloren sie wirklich so schnell das Interesse an allem, was zu leicht zu haben war? Vielleicht war es naiv und vermessen von ihr, wenn sie annahm, dass er denselben Wunsch nach Nähe empfand wie sie. Schon in wenigen Tagen würde sie nicht mehr hier sein.
    »Frühstück wäre schön«, sagte er, obwohl er nervös wirkte, und erst jetzt kam ihr der Gedanke, dass er vermutlich wegen des Geldes zögerte. Natürlich. Sie war ein Trampel. Wie unsensibel konnte man sein? Er lebte von Haferbrei, Erdnüssen und gespendetem Obst. Seit Cora in New York war, gingen Louise und sie jeden Tag in Restaurants essen, ohne sich groß Gedanken über die Rechnung zu machen. Sie hatte Geld von Leonard Brooks und von Alan. Sie könnte ohne Weiteres ein Frühstück für sie beide bezahlen, aber sie wusste, dass wahrscheinlich schon der Vorschlag ein Fehler wäre. »In meiner Wohnung habe ich Toast und Marmelade«, sagte sie. »Und Orangen.« In der U-Bahn hielt er ihre Hand. Als sie bei ihrer Station ausstiegen, brannten die Straßenlaternen immer noch. Nur im Osten zeigte sich am Himmel ein blasser rosa Streifen, und auf den Straßen war es so ruhig, dass erstes Vogelgezwitscher zu hören war. Sie kamen an einem schwer bepackten Zeitungsjungen und einer humpelnden Frau in einem knalligen Kleid vorbei. Aber meistens waren sie allein auf dem Bürgersteig, der zu dieser Stunde so breit und leer erschien, als wäre er nur für sie angelegt worden.
    Er ging vor zwölf. Er musste sehen, ob die Nonnen irgendetwas brauchten, und er hatte seine täglichen Pflichten. Aber wenn er länger arbeitete, könnte er einiges im Voraus erledigen und sie morgen Vormittag besuchen. Nein, sagte er und legte eine Hand an ihre Wange. Nein, er würde nicht müde sein.
    Dann also morgen, stimmte Cora zu und fuhr mit ihren Fingern über die feinen Härchen auf seinem Unterarm. Schon überlegte sie, was sie für ihn kochen oder fertig kaufen könnte, etwas Einfaches, von dem sie behaupten könnte, es zufällig im Haus zu haben. Er könnte ab halb elf kommen, sagte sie. Louise würde noch Unterricht haben.
    Als er gegangen war, machte sie sich an die Arbeit. Sie nahm ein schnelles Bad, leerte die Wanne und füllte sie erneut, um die Leintücher zu waschen, indem sie ein Stück Seife unter den Wasserhahn hielt, bis es schäumte. Sie wrang die Leintücher so gut wie möglich aus, bevor sie sie zum Trocknen auf die Vorhangstange im Schlafzimmer hängte. Sie machte in der ganzen Wohnung sauber, spülte das Geschirr ab und schüttelte die Kissen auf. Als es Zeit war, zum Studio zu gehen, war sie trotzdem überzeugt, dass Louise ihr alles auf den ersten Blick ansehen würde. Ihre Wangen und ihr Nacken waren immer noch von seinen Bartstoppeln gerötet, und so nervös sie auch war, sie konnte einfach nicht aufhören zu lächeln. Sie war wie in Trance und in Gedanken ständig bei der vergangenen Nacht. Auf dem Broadway lief sie direkt in eine Straßenlaterne. »Passen Sie doch auf!«, sagte ein Mann im Vorbeigehen unfreundlich, und zwei kleine Jungen machten einen großen Bogen um sie, als wäre sie gefährlich oder betrunken.
    Als Cora ins Studio kam, war Louise schon wieder in Straßenkleidung und sah für jemanden, der im Anschluss an eine Busfahrt von Philadelphia Tanzunterricht gehabt hatte,

Weitere Kostenlose Bücher