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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Konversation, indem er Joseph und Greta auf die Bibliothek und das Rathaus aufmerksam machte und darüber scherzte, dass Wichitas bescheidene Skyline vermutlich nicht das war, was sie gewohnt waren. Als Joseph erwiderte, dass die Stadt einen guten Eindruck machte, äußerte sich Alan nicht zu seinem Akzent. Aber Cora hatte keine Ahnung, was er dachte – er war von jeher sehr höflich. Vielleicht freute er sich für sie oder war durcheinander. Vielleicht glaubte er die Lüge.
    Erst später, als das Gepäck ins Haus geschafft worden war und Joseph und Greta etwas zu essen bekommen hatten und dann in ihre Zimmer geführt wurden, um sich ein bisschen auszuruhen, bat Alan Cora in sein Arbeitszimmer, um mit ihr über etwas zu sprechen. Weder seiner Stimme noch seinem Gesichtsausdruck war anzumerken, ob er aufgebracht war. Sie sagte, dass sie gleich bei ihm wäre, sie bräuchte ein Glas Wasser und ob er auch eines wollte? Nein, sagte er. Nein, danke. Auch nachdem er die schwere Tür zur Diele geschlossen hatte und sie in den Ledersesseln an seinem großen Schreibtisch saßen, war er ruhig und wartete unverkennbar darauf, dass sie als Erste sprach. Sie nahm einen Schluck Wasser und betrachtete die Regale voller Gesetzesbücher, die Löschwiege auf seinem Schreibtisch. Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte. Sie kannte ihn gut, und er kannte sie. Aber in vielerlei Hinsicht hatten sie seit Jahren kein ehrliches Gespräch mehr miteinander geführt.
    »So«, sagte er schließlich. »Auf dieser Reise ist einiges passiert.«
    Sie nickte. Von oben hörte sie Schritte, Gretas aufgeregte Stimme. Wahrscheinlich hatte sie gerade den kleinen Balkon vor ihrem Zimmer entdeckt – es war Earles altes Zimmer, auf dem Schreibtisch stapelten sich immer noch seine National-Geographic -Hefte, und an den Wänden hingen die Wimpel diverser Footballmannschaften. Wenn Joseph und Greta blieben, entschied Cora, würde sie die beiden im zweiten Stock unterbringen, damit die Jungs in den Ferien in ihren alten Zimmern wohnen konnten.
    »Bist du sicher, dass dieser Mann dein Bruder ist?«, fragte Alan. »Wie hast du das herausgefunden?« Er runzelte die Stirn. »Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich.«
    Sie drehte sich zum Fenster um. Trotz des hellen Nachmittagslichtes entstand durch die schweren, fast vollständig zugezogenen Vorhänge der Eindruck, dass es draußen bereits dämmerte. Vor Jahren hatte sie sich, wenn Alan weg war, oft heimlich in dieses Zimmer geschlichen und in Schubladen und Papieren gestöbert, um Beweise für ihre dunklen Vermutungen zu finden, Beweise für Raymond, Beweise für alles, was sie ohnehin wusste. Nach etlichen erfolgreichen Suchen, nachdem sie die Uhr mit der Gravur und die Gedichte gefunden hatte, hörte sie schließlich damit auf. Es machte keinen Unterschied, was sie fand oder nicht fand. Sie würde weiterhin Schmerzen leiden an sehnsüchtiger Liebe.
    »Er ist nicht mein Bruder«, teilte sie Alan jetzt mit. »Aber genau das werden wir allen erzählen.« Sie sagte es ganz ruhig, ohne jede Drohung. Aber sie sagte es so, wie sie es beabsichtigt hatte, als Feststellung, nicht als Frage. Sie würde nicht so tun, als könnte er Nein sagen.
    Alan starrte sie an.
    Sie lächelte.
    »O mein Gott, Cora!« Er erwiderte ihr Lächeln nicht.
    Offensichtlich hatte sie ihn überrascht. Als ob es so schwer vorstellbar wäre.
    »Du … du hast eine Affäre mit ihm?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht im Moment. Ich hatte eine, aber jetzt nicht.«
    Sie versuchte, es ihm zu erklären. Sie und Joseph hatten beschlossen, Freunde zu sein, nur Freunde, wenigstens so lange, bis er auf eigenen Beinen stand, bis er und Greta nicht mehr in einer so verzweifelten Lage waren. Cora hatte diese Forderung gestellt – sie hatte kein Interesse daran, wieder Gegenstand des vorgetäuschten Verlangens eines Mannes zu sein, ein notwendiges Werkzeug für sein Überleben. Deshalb würde sie ihm und seiner Tochter helfen, ohne sich etwas zu erhoffen und ohne eine Intimität zu teilen, die ihr Arrangement unangemessen oder für beide Teile demütigend erscheinen lassen könnte. Wenn er erst einmal einen Job und Ersparnisse hatte, könnte er wieder gehen, vielleicht zurück nach New York, und sie würde ihm alles Gute wünschen und wissen, dass sie ihm geholfen hatte, mit seiner Tochter zusammenzubleiben. Das war ihr am wichtigsten.
    Wie dem auch sei, sie hatte darauf bestanden, und er hatte zugestimmt, dass sie erst entscheiden konnten, wie sie

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