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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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wahrscheinlich Raymond wusste es.
    Trotzdem staunte sie manchmal, auf welchen Wahnsinn sie sich eingelassen hatte. Immer wieder befürchtete sie, dass alles herauskommen würde oder dass sie und Joseph nichts mehr füreinander empfanden oder dass Greta entschied, sie nicht lieb zu haben, oder dass Alan sich weigern würde, so weiterzumachen.
    Aber nichts davon passierte. Niemand in der Stadt äußerte einen Verdacht. Viola Hammond schalt Cora lediglich, weil sie nie erwähnt hatte, dass sie in New York zur Welt gekommen war, und lobte sie, weil sie wie eine wahre Christin handelte, indem sie ihre Nichte aufnahm. Alans Laune wurde besser, als Joseph am Motor des Wagens herumtüftelte, bis er nicht mehr dieses beunruhigende tickende Geräusch machte, und noch besser, als Raymond endlich eine von Coras vielen Einladungen zum Dinner annahm. Raymond, der zu dieser Zeit den Großteil seiner roten Haare eingebüßt hatte, war zunächst sehr still und wachsam – vor allem Cora gegenüber. Aber er verstand sich gut mit Greta, und nach einer Weile verliefen ihre Abende nach einem zwanglosen Muster. Alan hatte im Sommer tatsächlich ein Radio gekauft, und nach dem Essen gingen alle in den Salon, um sich eine Sendung oder Musik anzuhören. Cora fiel auf, dass Alan und Raymond einander so gut wie nie direkt anschauten oder ansprachen, und fand, dass Joseph und sie diese bewährte Strategie übernehmen sollten. Wenn getanzt wurde, tanzte sie mit Alan, nie mit Joseph. (Und nie mit Raymond – das schien eine stillschweigende Übereinkunft zu sein.) Sie wahrten sogar innerhalb des Hauses den Schein, um Greta nicht zu verunsichern. Trotzdem reichte es, Joseph in der Nähe zu wissen und seine Stimme zu hören, auch wenn sie ihn nicht ansah.
    Und alles ging gut. Das Kind schlief tief und fest, und an Coras Tür war ein Schloss. Auch wenn Joseph schon aufgestanden und nach einem Gutenachtkuss in sein Zimmer zurückgegangen war, lag Cora mit offenen Augen zufrieden da und lauschte auf die Stille im Haus. Irgendwann fand sie, dass das, was sie getan hatte, gar kein Wahnsinn war. War es verrückt, wenigstens zu versuchen, so zu leben, wie man wollte, oder jedenfalls annähernd so zu leben? Es ist mein Leben, dachte sie manchmal. Es ist mein Leben, weil ich Glück gehabt habe. Und weil ich zugegriffen habe.
    Alan sah keinen Sinn darin, jemandem zu erzählen, was Louise Cora über Vincent anvertraut hatte. Auch er fand es beunruhigend, dass Vincent immer noch an der Sonntagsschule unterrichtete, aber wenn Louise sich weigerte, als Mitklägerin aufzutreten, konnte Cora beim Kirchenrat nur vage Beschuldigungen vorbringen. Vincent würde die Sache vermutlich nicht einfach auf sich beruhen lassen, und Cora würde sich nur einen erbitterten Feind schaffen.
    »Angesichts unserer häuslichen Situation«, fügte Alan hinzu, »sollten wir vorsichtig in der Wahl unserer Feinde sein.«
    Aber irgendetwas musste Cora tun. Obwohl sie sich wie ein Feigling fühlte, schickte sie einen anonymen Brief an Vincents Büro. Sie benutzte einfaches Briefpapier und schrieb mit der linken Hand.
    Halten Sie sich in der Sonntagsschule von den Mädchen fern.
Wir behalten Sie im Auge.
    Sie hatte keine Ahnung, was bei diesem Versuch herauskommen würde, und es schien auch nicht annähernd genug zu sein. Aber am folgenden Sonntag verkündete der Pfarrer, dass Edward Vincent beschlossen hatte, sich auf geschäftliche Angelegenheiten zu konzentrieren und seiner Familie mehr Zeit zu widmen, und dass die Kirche einen Freiwilligen suchte, der junge Menschen in Fragen der Moral unterrichten könnte. Einen Moment lang spielte Cora mit dem Gedanken, sich zu melden. Seit ihrer Rückkehr aus New York hatte sie sehr viel über Fragen der Moral nachgedacht, und sie hätte gern Gelegenheit gehabt, diese Gedanken, ganz zu schweigen von einigen Fragen, mit den jungen Presbyterianern von Wichita zu teilen. Aber sie wusste, dass das nicht die Art Anleitung war, die dem Pfarrer vorschwebte, und sie bezweifelte, dass sie seinen Wünschen gerecht werden könnte. Angesichts dessen, wie sie lebte, wäre sie genauso verlogen wie Edward Vincent, wenn sie die starren Regeln und erschreckenden Geschichten weitergab, die man ihr in ihrer Kindheit eingetrichtert hatte. Als der Pfarrer sie auf ihrem Platz zwischen Alan und Joseph anschaute, wandte sie höflich den Blick ab.
    1926 bekam die neunzehnjährige Louise Brooks, damals noch eine relativ unbekannte Schauspielerin, die weibliche Hauptrolle in

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