Das Schmetterlingsmädchen - Roman
das einzig Richtige zu tun. Und wie ein gut gedrillter Papagei hatte sie Louise immer wieder vor den schwerwiegenden Folgen eines beschmutzten Namens gewarnt. Nur wenige Jahre später wurde Louises Name von der Presse gründlich durch den Schmutz gezogen, aber soweit Cora es beurteilen konnte, hatte es nur noch größeren Ruhm und noch mehr Filmrollen zur Folge.
Dennoch konnte sie ein gewisses Unbehagen nicht abschütteln, dieselbe verhaltene Sorge, die in jenem Sommer an ihr genagt hatte. Hatte Louise Denishawn frohen Herzens verlassen? Wenn nicht, was hatte sie angestellt, um aus der Truppe geworfen zu werden? Hatte sie getrunken? Gab sich Louise damit zufrieden, Chaplins neueste junge Geliebte zu sein, oder erhoffte sie sich mehr? Cora fand selbst, dass sie albern war. Louise brauchte ihre Besorgnis nicht und würde sie vermutlich nicht einmal wollen. Sie wirkte auf jedem ihrer Fotos mit diesem wissenden Blick in ihren Augen sehr selbstbewusst. Wahrscheinlich würde es damit enden, dass Mr. Chaplin sich ausgenutzt vorkam – oder sie würden sich irgendwann trennen, ohne Schaden genommen zu haben. Auch wenn Louise jung war, so war sie doch eine erwachsene Frau, eine moderne Frau, gerissen und ohne Angst vor Vorurteilen, ein Funkeln auf der Klinge ihrer Generation, mit der alte Konventionen zerschnitten wurden.
Innerhalb weniger Jahre besaß das Kino in der Nähe von Alans Büro ein Schild, auf dem in kühnen Lettern In der Hauptrolle: Louise Brooks – die große Tochter unserer Stadt! stand, und das immer über dem Eingang aufgehängt wurde, wenn einer ihrer Filme in die Stadt kam. Auf der Leinwand bewegte sich Louise oft wie ein Kind, fiel Cora auf, wenn sie herumhüpfte und -wirbelte. Sie saß bei älteren Männern auf dem Schoß, machte große Augen und setzte immer noch regelmäßig ihren Schmollmund auf. Der Klatsch in den Zeitschriften, der eine ganz andere Louise porträtierte, musste ihre Fans einigermaßen verwirren. Cora war nicht überrascht, als sie las, dass Louise Anzeige gegen einen Fotografen erstattet hatte, weil er ein Bild von ihr in Umlauf brachte, auf dem sie nur mit einem drapierten Schal bekleidet war und eine nackte Hüfte zur Schau stellte. Louise verteidigte sich damit, dass sie für Bilder posiert hätte, als sie noch ein Revuegirl war, aber jetzt wäre ihr Metier ein anderes. Ich habe eine Karriere als ernst zu nehmende Filmschauspielerin begonnen, erklärte sie, und ich fürchte, es schadet meinen Aussichten auf Erfolg in meinem neuen Beruf, wenn überall im Land derartige Fotos herumflattern. In meinem neuen Beruf wird von mir häufig erwartet, unschuldige Heldinnen zu spielen, Mädchen, die Werte wie Bescheidenheit und die Wahrung bewährter Konventionen repräsentieren. Tatsächlich sind meine Regisseure der Meinung, dass ich mich vor allem für dieses Rollenfach eigne. Ich fürchte, es wäre für Kinobesucher, die mich in einer dieser Rollen bewundert haben, ein großer Schock, auf einem Foto zu sehen, wie ich nur mit einem locker umgeworfenen Schal oder einem Paar Sandalen bekleidet für Mr. De Mirjian Modell sitze. Der Gegensatz würde mit Sicherheit den Eindruck von Unschuld und Arglosigkeit beeinträchtigen, den ich mit meinem Spiel erwecken soll.
Weiter hieß es, dass sie sich nicht für die Fotos schäme, die sie für künstlerisch und geschmackvoll und einem Revuegirl angemessen hielt. Sie wies darauf hin, dass ein tief ausgeschnittenes Abendkleid für festliche Gelegenheiten durchaus am Platz wäre, dasselbe Kleid tagsüber aber ungehörig wirken würde. Das Kleid wäre nur in einer bestimmten Situation unpassend, nicht an und für sich unangebracht.
»Sie könnte Anwältin werden«, lachte Alan. »Und zwar keine schlechte.«
Cora gab ihm recht. Louises Argumentation schien zeitgemäß. In letzter Zeit ließ sich kaum vorhersagen, was von einem Tag auf den anderen als schicklich und dann wieder als skandalös gelten würde. Vor zwei Jahren waren die Säume nach unten gewandert, fast bis zu den Knöcheln, aber mittlerweile endeten sie wieder beim Knie. Und in jenem Sommer forderte das Baseballteam des Ku-Klux-Klan die Monrovians der Negro League zu einem Spiel heraus, bei dem als Schiedsrichter weiße Katholiken fungierten, die sich weder mit der einen noch der anderen Seite verbünden wollten. Cora, die Ausschreitungen befürchtete, blieb dem Spiel fern und ließ auch Greta nicht hingehen. Aber Joseph und Raymond und Alan waren dort, und es kam nicht zu
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