Das Schmetterlingsmädchen - Roman
gewesen. Nun, da sie Joseph hatte, konnte sie nicht über andere urteilen. Wenn Myra Sex gemeint hatte, schien »fordernd und rücksichtslos« eine mehr als unerfreuliche Kombination, vielleicht noch schlimmer als gar nichts.
Aber niemand konnte Myra verteidigen, als Ethel Montgomery von ihrer Cousine in Michigan ein Flugblatt mit Myras Bild bekam, auf dem stand: Myra Brooks, jugendliche Mutter von Filmstar Louise Brooks, spricht heute Abend über Schönheit und Gesundheit. Bald kam heraus, dass Myra Louises wachsende Berühmtheit genutzt hatte, um beim Redpath Chautauqua unterzukommen und Vorträge darüber zu halten, wie sie die Schönheit sowie das innere Gleichgewicht ihrer berühmten Tochter gefördert und bei sich selbst erhalten hatte. Die Frauen in Wichita fragten sich, ob Myra bei ihren Vorträgen über mütterliche Weisheit je erwähnte, dass sie Louises jüngere Geschwister im Stich gelassen hatte oder, da nur Louises Name lukrativ war, ihre anderen Kinder überhaupt nicht erwähnte.
Man konnte nur Vermutungen anstellen, was Louise selbst davon hielt. Inzwischen war sie berühmt und unerreichbar. Ihr Name stand neben dem von W. C. Fields auf der Leinwand, und in den Illustrierten konnte man lesen, dass sie demnächst den gut aussehenden, jungen Regisseur ihres neuesten Filmes heiraten würde. Wenig später wurde in den Zeitschriften über das traumhaft schöne neue Haus der Frischvermählten in Kalifornien und rauschende Feste mit Kaviar und Picknicks mit berühmten Freunden auf Hearst Castle berichtet. Louise wurde in Abendkleidern neben ihrem neuen Ehemann und bei ihren Besuchen in New York in verschiedenen Pelzmänteln fotografiert.
In jenem Mai kam Greta von der Schule nach Hause und verkündete, nachdem sie in den Apfel gebissen hatte, den Cora ihr gerade gereicht hatte, dass kein Mädchen, das sie kannte, June Brooks bedauerte, obwohl ihre Mutter sie verlassen hatte.
»Sie fährt nach Hollywood«, fuhr Greta, die immer noch an dem Apfel kaute, fort. »Sie wird den ganzen Sommer bei Louise verbringen. Ich habe June erzählt, dass ich ihre Schwester in New York kennengelernt habe und sie auch gern besuchen würde. Mal sehen, hat sie gesagt. Ihr Bruder Theo kommt auch mit. Alle sagen, dass sie in einer riesigen Villa wohnen werden, wahrscheinlich mit Swimmingpool und Dienstboten, und dass Louises Mann so reich ist, dass er sechs Autos hat, und dass bestimmt ganz viele Filmstars zu Besuch kommen.«
Greta ließ sich auf einem der Esszimmerstühle nieder, schlug die zerschrammten Knie übereinander und reckte das Kinn, als wäre sie eine elegante Dame, die am Swimmingpool posierte. Cora lächelte. In der Schule und in Gesellschaft war Greta immer noch schüchtern, aber daheim spielte sie gern Theater.
»Und wenn der Sommer zu Ende ist?«, fragte Cora. »Kommt June dann zurück?«
Greta schüttelte den Kopf. »Sie kommt auf eine Schule in Paris. Den Namen habe ich vergessen, aber als sie es unserer Lehrerin erzählt hat, hat die gesagt: ›Meine Güte, es muss toll sein, einen Filmstar als Schwester zu haben.‹ Und Louise will sie ganz oft in Paris besuchen, weil sie so reich ist, dass sie einfach den Ozean überqueren kann, hin und her, so wie andere Leute über die Straße gehen.«
Cora war beeindruckt, nicht von dem Geld, sondern von der großzügigen Geste. Wenn ihr damals im Sommer 1922 jemand gesagt hätte, dass ihre launische und intrigante fünfzehnjährige Schutzbefohlene bald reich und berühmt sein würde, wäre sie nicht weiter erstaunt gewesen. Aber nie im Leben wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass Louise innerhalb weniger Jahre nicht nur glücklich verheiratet sein würde, sondern sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern und quasi ihre Mutter ersetzen würde. Vielleicht war es falsch gewesen, sich Sorgen zu machen. Louise mit all ihrem Wagemut und ihrer Lebensfreude kam offensichtlich gut zurecht.
Aber anscheinend schien es in diesen letzten sorglosen Jahren allen gut zu gehen. Earle heiratete in St. Louis, und obwohl er noch Medizin studierte und nicht viel Geld hatte, spendierten die Brauteltern dennoch eine Hochzeit mit über dreihundert Gästen, inklusive einem kleinen Orchester und erstklassigem Essen auf dem Empfang. Howard war Earles Trauzeuge, und Greta durfte Blumen streuen. Man stieß auf die Zukunft des jungen Paares an, und obwohl der Polizeichef und der Bürgermeister zu den Gästen gehörten, schien niemand etwas dabei zu finden, dass eine der Bowlen mit Gin
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