Das Schmetterlingsmädchen - Roman
ausdruckslos an.
Ethel Montgomery verdrehte die Augen. »Irgendwie bezweifle ich, dass sie den Kampf gegen Obszönität unterstützen würde.«
»Sie hat sowieso kein Geld mehr«, fügte Virginia hinzu. »Sie hat sich für bankrott erklärt, glaube ich. Sie hat der Presse mitgeteilt, dass sie außer ihrer Kleidung nichts mehr besitzt.«
Eine andere schnalzte mit der Zunge. »All die Pelze. Armes Ding.«
Cora schaute an die Decke, zu den Seilen und Sandsäcken, den dunklen Bühnenlichtern. Wenn Louise immer noch in Wichita lebte, wenn sie einfach ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen wäre, das überall auftrat, wo ihre Mutter sie unterbringen konnte, wäre sie vielleicht genau auf dieser Bühne vor applaudierenden Mitschülern und Nachbarn herumgesprungen und -gewirbelt. Cora warf einen Blick über die Schulter und schaute auf die leeren Sitzreihen.
»Wie kann sie bankrott sein?« Viola schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass sie geschieden ist, aber sie hat doch wieder geheiratet, oder? Irgendeinen Millionär in Chicago?«
»Sie hat ihn verlassen«, sagte die Frau, die mit der Zunge geschnalzt hatte. »Die Ehe war noch kürzer als die erste.«
»Wenn sie bankrott ist, kann sie vielleicht zu ihm zurückgehen. Das hat ihre Mutter doch auch gemacht.«
Cora senkte den Blick. Sie hatte schon gehört, dass Myra wieder in der Stadt war. Ihre Kinder waren alle erwachsen, aber sie lebte wieder mit Leonard zusammen – nur sie beide in dem großen Haus auf der North Topeka. Cora hatte gehört, dass ihr einfach das Geld ausgegangen war und es nicht gut um ihre Gesundheit stand. Alle fanden es sehr großzügig von Leonard Brooks, dass er sie wieder aufgenommen hatte.
»Das hat Louise Brooks wohl kaum nötig«, meinte Virginia. »Wenn sie mit einem Millionär verheiratet war, dürfte sie bei der Scheidung gut abkassiert haben.«
»Ich hoffe es um ihretwillen. Wie alt ist sie jetzt, dreißig? Und schon zweimal geschieden. Da überlegt es sich mancher Mann zweimal. Und Hollywood scheint genug von ihr zu haben. Sie hat seit Jahren nirgendwo mehr mitgespielt.«
Winnifred lächelte schwach. »Vielleicht will man nicht einmal in Hollywood eine Frau zum Vorbild stilisieren, die die Ehe so leichtnimmt. Was nun die Beschaffung von Geldern angeht …«
»Es sind die Tonfilme«, sagte Virginia. »Das habe ich jedenfalls gehört. Sie hat nicht die richtige Stimme dafür. Viele Leute, die in Stummfilmen groß rausgekommen sind, haben einfach nur gut ausgesehen. Jetzt muss man auch gut klingen. Es ist eine völlig andere Art der Schauspielerei. Und um ein bisschen Profit aus ihrem Gesicht zu ziehen, hat sie diese Filme in Deutschland gemacht.«
»Sie hat eine schöne Stimme«, sagte Cora. »Mit ihrer Stimme ist alles in Ordnung.«
Alle drehten sich zu ihr um. Viola zog die Augenbrauen hoch.
»Und sie war in Tonfilmen«, fügte Cora hinzu. »In It Pays to Advertise zum Beispiel.«
»Das hatte ich ganz vergessen«, sagte Viola. »Das war der letzte Film, in dem sie war, oder? Und das ist vier Jahre her.«
»Welcher war das?«, fragte Ethel. »Ich weiß nicht, ob ich ihn gesehen habe.«
»Mit Carole Lombard. Sie hatte die Hauptrolle, Louise Brooks nur eine Nebenrolle.« Viola drehte sich wieder zu Cora um. »Und was war der Grund? Wenn es nicht ihre Stimme war, warum ist sie dann bankrott? Früher konnte man kaum ins Kino gehen, ohne ihr Gesicht zu sehen, und jetzt ist sie plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Wo ist sie?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Cora. »Ich habe keinen Kontakt zu ihr.« Sie sah auf die Mitte des Tisches und sprach etwas lauter. »Tut mir leid, ich weiß nur, dass sie eine schöne Stimme hat, sonst nichts.«
Niemand erwiderte etwas. Cora erkannte, dass sie etwas energischer gesprochen hatte als beabsichtigt. Auf einmal hatte sie keine Lust mehr, hier an diesem Tisch zu sitzen. Sie schob ihren Stuhl zurück.
»Cora?« Viola tippte an ihr Knie. »Du gehst schon? Bleib doch noch! Wir waren doch bloß neugierig. Bist du böse?«
Cora schüttelte mit schmalen Lippen den Kopf. Sie war böse, aber sie war sich nicht sicher, ob sie dazu ein Recht hatte. Die anderen fragten sie nichts nach Louise, was sie sich nicht schon selbst gefragt hatte. Aber während sie es ohne jede Häme getan hatte, freuten sich diese Frauen unverkennbar, dass Louise, die einmal so hoch über ihnen gestanden hatte, jetzt anscheinend so tief gestürzt war. Jetzt wollten sie alles wissen, alle Details. Cora konnte ihnen
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