Das Schmetterlingsmädchen - Roman
keine geben.
»Ich muss los«, sagte Cora und stand auf. »Danke für den Brunch, Winnifred. Was für ein Genuss in dieser kühlen Luft.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, schob ihren Stuhl zurück und bewegte sich auf die Treppe zu, die rechts von der Bühne war.
»Bevor Sie gehen, könnten Sie noch die Petition unterschreiben.« Es war Winnifred, die ihr das nachrief.
Cora setzte vorsichtig ihre Schritte, als sie bei der schwachen Beleuchtung die Stufen hinunterging. So viel zu ihrem unauffälligen Entkommen. Aber vielleicht war ein bisschen Ehrlichkeit erforderlich.
»Nein. Ich finde nichts dabei, dass diese Artikel in Drugstores offen im Regal stehen.« Sie blieb stehen und zog ihre Handschuhe an. »Aber trotzdem danke für den Brunch.«
Ohne aufzublicken öffnete sie ihre Handtasche, nahm sechs Quarter heraus und ließ sie in das Einweckglas am Rand der Bühne fallen. Kein Laut war zu hören bis auf das Klirren der Münzen an Glas, das im Theater widerhallte, und dann das Klicken ihrer Handtasche. Ein bisschen theatralisch vielleicht, aber warum auch nicht. Schließlich war das hier ein Theater. Als sie den Mittelgang hinaufging, schwiegen die Frauen hinter ihr. Sie holte tief Luft, um möglichst viel von der kühlen, reinen Luft einzuatmen, bevor sie wieder draußen war.
Vielleicht wäre sie ohnehin früher aufgebrochen. Es war Freitag, und Joseph würde schon gegen zwölf zu Hause sein. Er hatte schon vor langer Zeit vereinbart, jeden Morgen früher zur Arbeit zu gehen, damit er montag- und freitagnachmittags freihatte. Er wäre ein Frühaufsteher, hatte er dem leitenden Ingenieur erzählt, und fände es schön, in diesen einsamen Stunden kurz vor und nach Tagesanbruch in aller Ruhe an Motoren, Tragflächen und Triebwerken herumzutüfteln. Er leistete so gute Arbeit, dass man seinem Wunsch ohne weiteres Nachfragen entsprach. Niemand dachte daran oder interessierte sich dafür, dass Della nur dienstags und donnerstags ins Haus kam. Wenn ein Witwer zweimal in der Woche früher Feierabend machen wollte, um sich zu Hause zu entspannen und seiner verheirateten Schwester Gesellschaft zu leisten, war es allein seine Sache.
Als sie hereinkam, war es im Haus still und mit den laufenden Ventilatoren und den zugezogenen Vorhängen im Salon fast angenehm.
»Hallo?« Sie stand in der Diele und bürstete ihren Rock ab. »Joseph?«
»Ich bin hier.« Er tauchte in der Tür des Vorderzimmers auf. Er trug eine Hose und ein sauberes T-Shirt, und sein Haar war noch feucht vom Duschen. In diesem Jahr hatte er eine Dusche in die Badewanne eingebaut – er hatte etwas gegen den Staub im Badewasser. Jetzt duschten alle im Haus lieber, als ein Bad zu nehmen, vor allem, um Wasser zu sparen, obwohl Cora auch nichts dagegen hatte, dass sie nicht länger den Schmutzrand in der Wanne sauber schrubben musste.
»Wie war der eiskalte Brunch?« Als er zu ihr kam, um ihr einen Kuss zu geben, nahm sie einen Duft von Minze wahr. »Ist euer Tee in den Tassen gefroren?«
Statt zu antworten, trat sie einen Schritt zurück und spähte erst in den Salon und dann ins Esszimmer.
»Keiner da«, sagte er, rührte sich aber nicht.
»Ich sehe lieber noch mal nach.« Sie zog die Hutnadeln aus ihrem Hut und lächelte. »Hast du schon gegessen?«
Nicht immer war sie es, die vorsichtig war. Manchmal musste Joseph sie daran erinnern, dass es für ihre Privatsphäre keine Garantie gab. Ein Bekannter konnte vorbeikommen. Ein Nachbar konnte durch ein Fenster hereinschauen. Und dann bestand immer die Möglichkeit, dass ihre größte Befürchtung wahr wurde und Greta früher als erwartet nach Hause kam. Aber die Highschool war weit genug entfernt, sodass Greta zu Hause anrufen und darum bitten musste, abgeholt zu werden, falls sie mitten am Tag krank wurde. Und in den letzten zwei Sommern hatte sie in den Ferien in Alans Büro Teilzeit gearbeitet, Akten abgelegt und das Telefon bedient. Cora hatte Alan gebeten, sofort zu Hause anzurufen, falls Greta das Büro jemals früher verließ, insbesondere montags oder freitags. Alan, stets der Gentleman, hatte es ihr versprochen, ohne Fragen zu stellen oder eine Bemerkung zu machen.
Im Laufe der Jahre hatten Cora und Joseph einen Großteil ihrer knapp bemessenen Momente des Alleinseins damit verbracht, sich mit der Frage zu quälen, ob sie Greta die Wahrheit sagen sollten. Aber es schien immer zu gefährlich zu sein. Als Greta zwölf war, hatten sie und ihre Freundin Betty Ann Wills einen furchtbaren Streit,
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