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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Speisewagen rauschen und Louise sich selbst überlassen. Genauso wenig konnte sie das Mädchen am Arm packen und hinauszerren – damit würde sie nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf Louises Unbesonnenheit lenken. Außerdem musste sie etwas essen. Wenn sie jetzt ging, musste sie später noch einmal zurückkommen und Louise entweder mitnehmen oder unbeaufsichtigt in ihrem Abteil zurücklassen. Louises neuer Freund, der ihre Einladung anscheinend mit Fassung trug, lächelte. Er hatte seinen Hut an einen Haken am Tisch gehängt und gab den Blick auf grau durchsetztes Haar frei, das an den Schläfen bereits schütter wurde. Er war mindestens um die vierzig, stellte Cora fest, altersmäßig nicht weit von Alan entfernt, und kräftig gebaut und breitschultrig. Neben ihm sah die hutlose Louise noch kleiner und jünger aus, als sie war.
    »Ma’am? Wollen Sie bei den Herrschaften Platz nehmen?« Der Kellner deutete auf den Tisch. Falls er Coras prekäre Lage oder die Peinlichkeit der Situation erkannte, zeigte er kein wie immer geartetes Interesse.
    Sie nickte und folgte ihm zum Tisch, wobei sie zu den anderen Gästen spähte und nach Anzeichen von Missbilligung oder, schlimmer noch, Wiedererkennen Ausschau hielt. Sie wollte sich Louise und dem Mann gegenüber hinsetzen, aber als sie sich, sich immer noch im Abteil umschauend, niederließ, landete sie zu ihrem Entsetzen auf dem Schoß eines anderen Mannes.
    »Du meine Güte!« Sie sprang auf und wäre beinahe mit dem Kellner zusammengestoßen, der, statt ihr zu helfen, rasch zurücktrat und die Hände auf dem Rücken verschränkte.
    Louises Lachen war schon eher ein Kreischen. Sie ließ sich in ihren Sitz zurückfallen und klatschte in die Hände. »Oh, Cora! Ich dachte, Sie hätten ihn gesehen!«
    »Tut mir schrecklich leid«, sagte der andere Mann, der sich aus der Bank schob und versuchte aufzustehen. »Schrecklich leid«, wiederholte er, obwohl man ihm anhörte, dass er sich genauso amüsierte wie Louise. Er war jünger als der andere Mann, ein bisschen jünger als Cora, und hatte hohe Wangenknochen und dichtes blondes Haar. »Ich habe nicht daran gedacht …«
    »Es war meine Schuld. Setzen Sie sich doch. Bitte«, flüsterte Cora. Sie konnte sich erst hinsetzen, wenn auch er wieder saß. Hitze kroch ihren Nacken hinauf. Der Mann gehorchte, und sie nahm neben ihm Platz. Er lächelte sie höflich an, aber sein Blick kehrte zu Louise zurück.
    »Tut mir leid, dass ich mich ohne Sie davongemacht habe.« Louise fasste über den Tisch und berührte Coras Arm. »Ich war einfach am Verhungern, und Sie haben so friedlich ausgesehen. Haben Sie sich ein bisschen ausgeruht?«
    »Ja. Danke.« Cora senkte den Kopf, sodass ihre Hutkrempe ihr Gesicht vor den Männern verbarg, und durchbohrte Louise mit einem stählernen Blick. Louise lächelte und beschäftigte sich mit ihrem Brathuhn.
    »Wie auch immer, als ich herkam, waren alle Tische besetzt, und diese Herren waren so liebenswürdig, mir einen Platz anzubieten. Cora, das ist Mr. Ross, und das ist sein Neffe, auch Mr. Ross. Ist das nicht nett?« Sie spießte mit ihrer Gabel ein Stück Huhn auf. »Zweimal so leicht zu merken.«
    »Nennen Sie mich Joe«, sagte der ältere Mann mit einem freundlichen Nicken.
    »Ich bin Norman«, sagte der Jüngere.
    »Mrs. Carlisle.« Cora lächelte knapp. Trotz des stetigen Surrens des Ventilators brannte ihr der Zigarrenrauch in den Augen. Ein Kellner stellte ein Glas Wasser neben ihren Teller und reichte ihr die Speisekarte. Cora hüstelte leicht und bestellte eine Limonade.
    »Haben Sie Hunger?« Louise zeigte mit ihrer Gabel auf ihren Teller, auf dem noch eine halbe und eine ganze Hühnerbrust lagen. »Das Hühnchen ist lecker. Aber die Portionen sind gewaltig. Möchten Sie etwas davon haben? Ich kann das nicht alles essen.«
    Das Hühnchen war gebraten, wie Cora es gernhatte, und sah gut aus. Und trotz des Zigarrenrauches, der in der Luft hing, und der drückenden Hitze war sie hungrig. Wenn sie einfach aß, was Louise nicht schaffte, könnten sie den Speisewagen wesentlich schneller wieder verlassen. Beide Männer schienen schon gegessen zu haben; ihre Teller waren abgeräumt, und ihre Leinenservietten lagen zerknittert vor ihnen.
    Cora sah Louise an. »Danke. Schade, dass sie dir nicht eine kleinere Portion anbieten konnten, etwas von der Kinderkarte. Hast du erwähnt, dass du erst fünfzehn bist?«
    Louises Augen wurden schmal. Cora lächelte und bugsierte mithilfe ihrer Gabel und ihres

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