Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Messers ein Stück Hühnchen auf ihren Teller. Es gab auch Brötchen, und sie nahm sich eines aus dem Brotkorb. Sie musste sich ihre Mahlzeiten gut einteilen. Ihr Korsett erlaubte es ihr nicht, mehr als eine Kleinigkeit auf einmal zu essen.
Der ältere Mann nahm seine Hand von der Lehne, verschränkte seine Arme vor der Brust und sah Cora an. Sein Blick schien sie um Entschuldigung zu bitten.
»Mrs. Carlisle.« Seine Stimme war freundlich. »Kommen Sie auch aus Wichita?«
Sie nickte. Ein Kellner brachte ihr ihre Limonade, bemerkte das Hühnchen aus zweiter Hand auf ihrem Teller und räumte mit der Andeutung eines geringschätzigen Lächelns ihr Gedeck ab.
Louise beugte sich über den Tisch. »Die Herren sind Feuerwehrmänner aus Wichita. Toll, was? Jeder liebt Feuerwehrleute. Und wir sitzen an ihrem Tisch.«
Cora runzelte die Stirn. Sie hatte die beiden als Vertreter oder irgendetwas in einem anderen untergeordneten Betätigungsfeld eingestuft. Es war schwieriger, kurz angebunden zu Männern zu sein, die regelmäßig ihr Leben aufs Spiel setzten, um Menschen aus brennenden Häusern zu retten. Andererseits wirkten sie nicht unbedingt, als kämen sie aus gehobenen Kreisen, Feuerwehr hin oder her. Auf der linken Hand des älteren, die er gerade von Louises Schulter zurückgezogen hatte, erhaschte Cora einen Blick auf einen funkelnden Ehering.
»Wir sind unterwegs nach Chicago. Schule für Brandbekämpfung.« Er staubte die Asche seiner Zigarre in einen silbernen Aschenbecher.
»Schule für Brandbekämpfung.« Cora nahm einen Schluck Limonade, die köstlich schmeckte, nicht zu süß und erstaunlich kalt. »Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.«
»Sicher. Es gibt eine Menge Sachen, die wir lernen müssen. Wir halten nicht einfach die Schläuche aufs Feuer und drehen das Wasser auf. Wir müssen alles Mögliche über Baumaterialien wissen. Chemie. Wir kriegen die neuesten Geräte und Techniken zu sehen.« Er lächelte Cora an. »Wie lange leben Sie schon in Wichita?«
»Seit meiner Heirat.«
»Und vorher?«
»McPherson.«
»Was Sie nicht sagen!« Der Mann zeigte auf seinen Neffen. »Sein Vater und ich stammen beide aus McPherson! Ich bin ein bisschen älter als Sie, schätze ich. Wie war Ihr Mädchenname?«
»Kaufmann.«
Er schüttelte den Kopf und sah ihr forschend ins Gesicht.
»Wir haben weit draußen gelebt. Wir hatten eine Farm.«
»Ah, ein Mädchen vom Land.« Er lächelte sie auf eine Art an, die ein wenig zu vertraulich wirkte. Louise sah Cora an und zog die Augenbrauen hoch.
Cora hob einen Finger, weil sie gerade kaute, und achtete darauf, auch nachdem sie geschluckt hatte, das Lächeln nicht zu erwidern. »Nicht mehr«, sagte sie. »Mein Mann und ich leben schon eine ganze Weile in Wichita.« Sie fühlte sich sofort wohler, als sie Alan erwähnte.
»Leben Ihre Verwandten noch in McPherson?«
»Nein. Es gab nur mich und meine Eltern. Sie sind vor einiger Zeit gestorben.«
»Verstehe.« Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. »Na ja. Ihre junge Freundin hat uns erzählt, dass Sie nach New York fahren.« Er blies einen Rauchring in die Luft. »Ich war schon einige Male dort. Die Stadt ist etwas ganz Besonderes. Zwei Frauen allein in New York? Ein bisschen beunruhigend, finde ich. Waren Sie schon mal da?«
Cora schüttelte den Kopf. Sein Ton gefiel ihr nicht. Zwei Frauen allein in New York. Ein Glück, dass er und sein Neffe nur bis Chicago fuhren. Sie kaute rasch und schluckte.
»Kann ein raues Pflaster sein«, fuhr er fort, »vor allem zu dieser Zeit. In Kansas ist man an Alkoholgesetze gewöhnt, aber in New York sieht es anders aus.« Er sah sein Wasserglas an und runzelte die Stirn. »Ich halte die Temperenzbewegung für überzogen. In New York wird sich die Prohibition nicht lang halten.«
»Sehr gut«, sagte Louise, einen Ellbogen auf den Tisch gestützt, ihr Kinn auf der Hand. »Ich finde die Prohibition blöd.«
»Ganz meine Meinung«, sagte der Neffe und versuchte, sich in ihr Blickfeld zu schieben. Es schien ihm nicht möglich zu sein, irgendjemand oder etwas anderes als sie anzusehen.
»Weil du nichts anderes kennst.« Cora tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab und sah Louise an. »Ich weiß, dass es bei jungen Leuten in Mode ist, zu denken, dass nichts mehr Spaß machen könnte als legaler Alkoholkonsum, aber du bist in einem alkoholfreien Staat aufgewachsen, meine Liebe. Du hast nie die Auswirkungen von hemmungslosem Alkoholmissbrauch erlebt. Du hast nie gesehen, wie
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