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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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gestorben, aber von ihren Kindern waren drei am Leben geblieben, zwei Söhne und eine Tochter. Die Söhne waren erfolgreich irgendwo im Westen tätig, und die Tochter war verheiratet und selbst schon Mutter und wohnte in Kansas City. Jedes Jahr kurz nach der Ernte stieg Mr. Kaufmann in den Zug nach Kansas City, um seine Tochter zu besuchen, während Cora und Mutter Kaufmann zu Hause blieben, um die Tiere zu versorgen. Die Tochter kam nie zu ihnen zu Besuch. Sie sollten sie nicht verurteilen, meinte Mutter Kaufmann. Es musste schwer sein, in das Heim seiner Kindheit zurückzukehren und dort die neue Frau seines Vaters und ein Kind vorzufinden.
    »Danke«, sagte Cora und hielt den Ring und die Stäbe vor sich. Sie war ganz aufgeregt, als sie daran dachte, wie viel Zeit Mr. Kaufmann für das Schnitzen des Ringes gebraucht haben musste, und fragte sich, was die beiden sich eigentlich davon versprachen. Es würde nicht ausreichen, den Ring und die Stäbe einfach in die Schule mitzunehmen. Was dachten sich die Kaufmanns? Dass es so leicht sein würde? Das Problem bestand in ihrer Herkunft – und da nützten ihr der Ring und die Stäbe auch nichts.
    »Wir fangen am besten gleich an«, sagte Mutter Kaufmann. Sie stand schon im Vorraum und schlüpfte in ihre schweren braunen Stiefel. »Draußen ist es ein bisschen feucht. Wir können in die Scheune gehen. Nimm die Laterne mit, es wird bald dunkel.«
    Cora war beinahe genauso fassungslos wie begeistert – Mutter Kaufmann spielte nie mit ihr. Sie war ständig beschäftigt, hatte immer irgendetwas zu tun. Sie machte Feuer unter dem großen Bottich, um Kleidung und Bettwäsche zu waschen; sie tötete Hühner mit der Wäscheleine, bevor sie sie an den Füßen zum Rupfen aufhängte; sie schaufelte Mist, sie siebte Milch, sie sammelte Eier ein, sie reinigte Siebe und Milcheimer, sie kochte die Mahlzeiten und legte Birnen und Spargel ein, sie schleppte Wasser herein, um das Geschirr zu spülen, sie flickte zerrissene Kleider und stopfte Socken. Cora half ihr, wenn sie nicht in der Schule war, aber ihr blieb auch genug Zeit zum Faulenzen. Sie konnte die Tiere streicheln oder einfach auf dem Rücken im Gras liegen und die Wolken betrachten. Ihre Freizeit verbrachte sie immer allein.
    Aber nachdem Mr. Kaufmann den Ring geschnitzt hatte, gingen Cora und Mutter Kaufmann jeden Abend in die Scheune, um zu üben. Mutter Kaufmann war geduldig, vor allem am Anfang, als Cora erst lernen musste, die Stäbe schnell genug und im richtigen Winkel auseinanderzuziehen, um den Ring in die Luft zu schleudern. Als sie es nach vielen Versuchen immer noch nicht schaffte, meinte Mutter Kaufmann, dass sie die Stäbe zu langsam bewege. Sie zeigte ihr, wie es ging, und forderte sie auf, es noch einmal zu versuchen. Und noch einmal. Und noch einmal. Trotz der Kälte schwitzte Cora in ihrem Kleid und atmete schwer. Aber es machte sie glücklich, Anmut zu spielen, es mit jemand anderem zu spielen. Sie hatten nur Coras Stäbe, deshalb fing Mutter Kaufmann den Ring einfach mit den Händen auf, bevor sie ihn zurückwarf. Als Cora darauf hinwies, dass das nicht ganz fair wäre, machte Mutter Kaufmann ein ungeduldiges Gesicht und sagte, um Fairness gehe es nicht.
    Sie fing an, den Ring aus größerer Entfernung zu werfen. Wenn es spät wurde, blinzelte sie ins Licht der Laterne, und ihre Würfe wurden weniger genau und noch schwerer zu fangen.
    Aber nach einer Weile beherrschte Cora die Technik gut genug, um den Ring so hoch zu schleudern, dass sie Zeit hatte, unter ihm hindurchzulaufen und ihn mit einem Stab oder beiden aufzufangen. Sie durfte länger aufbleiben und allein üben. Sie dachte sogar an das Spiel, wenn sie es nicht spielte – an das befriedigende Klicken, mit dem der Ring auf den Stäben landete. Zu Weihnachten konnte sie den Ring hoch in die Luft schleudern, wo er sich zweimal um sich selbst drehte, und ihn mit beiden Stäben auffangen. Sie konnte den Ring hinter ihrem Rücken auffangen. Sie konnte ihn mit an den Ellbogen überkreuzten Armen auffangen. Sie warf ihn so hoch in die Luft, dass einer der Farmarbeiter seinen Hut abnahm und »Uiii!« rief. Sie konnte den Ring sogar mit geschlossenen Augen auffangen, aber nachdem es ihr zweimal gelungen war, hätte sie sich beim nächsten Versuch beinahe die Nase gebrochen und hatte zu viel Angst, um es noch einmal zu probieren.
    Die Kaufmanns fanden, dass es an der Zeit war, den Ring in die Schule mitzunehmen.
    »Du brauchst gar nichts zu sagen«, meinte

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