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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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irrte sich. Es war lächerlich. Wie könnte sie Mutter Kaufmann nicht lieben, die Black Is the Color of My True Love’s Hair sang, wenn sie und Cora im Garten Unkraut jäteten, die manchmal richtig wütend werden konnte, aber nie Hand an sie legte, es sei denn liebevoll? Wie könnte sie es nicht lieben, mit ihr in der Küche zu sein, mit dem Duft des Kuchens im Ofen und dem Klappern der Messer?
    »Sie hat gesagt, dass es wissenschaftlich erwiesen ist.« Mutter Kaufmann warf noch zwei Kartoffeln in den Wassereimer und rubbelte mit den Daumenkuppen die Erde ab. »Aber dann haben wir dich bekommen, und du wolltest von Anfang an geknuddelt werden. Nicht gleich am ersten Tag, aber ziemlich bald.« Sie sah Cora an und lächelte. Als Cora jünger war, hatte sie sich vorgestellt, Mutter Kaufmanns Vorderzähne wären kleine Leute, die sich aneinanderlehnten. »Wenn wir dich umarmten, hast du uns auch umarmt. Wenn wir dir einen Kuss auf die Wange gegeben haben, hast du uns zurückgeküsst. Du bist angelaufen gekommen und wolltest auf meinem Schoß sitzen. Bei Mr. Kaufmann auch. Mrs. Lindquist meinte, dass jemand dich im Arm gehalten haben muss, als du ein Baby warst. Aber du hast gesagt, dass es bei den Nonnen keine Küsse und Umarmungen gab.«
    Cora musste bei der Vorstellung lachen. Mutter Kaufmann streckte eine Hand aus, um Coras Messer festzuhalten. Trotz der vielen Arbeit in der Sonne war ihre Haut viel heller als Coras.
    »Die anderen Mädchen vielleicht?«
    Vielleicht. Cora konnte sich erinnern, mit Mary Jane Händchen gehalten zu haben. Und dann war da noch diese früheste aller Erinnerungen an die dunkelhaarige Frau mit dem gestrickten Tuch. War es eine echte Erinnerung, nicht nur der Traum eines einsamen Kindes? War sie es, die Cora auf dem Arm gehalten hatte? Sie hatte ihren eigenen Namen gekannt, als sie ins Waisenhaus kam. Das hatten ihr die älteren Mädchen erzählt.
    Sie spähte zu Mutter Kaufmann. Sie hatte ihr nie von der dunkelhaarigen Frau mit dem Wolltuch erzählt. Cora hatte Angst gehabt, sie könnte sie verletzen, diese Frau, die ihr Gemüse zu essen gab, aber auch Kuchen, die Kleider für sie nähte und Bänder in ihre Zöpfe flocht und bei ihr am Bett saß, wenn sie krank war. Vielleicht war es sogar jetzt ein Verrat an ihr, wenn sie an die Frau mit dem Tuch dachte. Cora lehnte wie in einer stummen Entschuldigung ihre Stirn an Mutter Kaufmanns Schulter und atmete den Lavendelduft ihres Kleides ein. Als sie den Blick hob, glänzten Mutter Kaufmanns blaue Augen und blinzelten hastig.
    »Ist ja egal«, sagte sie und strich über Coras Haar. »Jetzt sind wir ja für dich da.«
    Aber eines Tages, ganz plötzlich und für immer, waren sie es nicht mehr.
    Es passierte Anfang November, als die Tage noch warm und die kühlen Abende angenehm waren, weil es kaum noch Mücken gab. Zwei Fuhren Heu waren ordentlich in der Scheune aufgestapelt, und Cora ging wieder zur Schule. An jenem Tag hatte sie eine Karte des Sonnensystems angefertigt und neben jeden Planeten fein säuberlich den Namen geschrieben. Sie war sechzehn, bei Weitem die älteste Schülerin, und sie verbrachte einen Großteil ihrer Schulzeit damit, der Lehrerin beim Unterrichten der Jüngeren zu helfen. Sie war gut im Zeichnen und im Erklären von Dingen. Mutter Kaufmann hatte gesagt, dass sie vielleicht selbst Lehrerin werden könnte – nicht in dieser Stadt, aber vielleicht irgendwo in der Nähe.
    Als sie gerade auf dem Heimweg war, traf sie auf einen der Erntehelfer. Er war ein junger Mann aus Norwegen, der gut Englisch sprach und ein voll ausgewachsenes grunzendes Schwein stemmen konnte, als wäre es gar nichts, aber als er vor Cora stehen blieb, schwitzte und keuchte er. Er war ihr entgegengelaufen, und nun, da er sie gefunden hatte, brachte er kein Wort heraus.
    »Was ist?«, fragte sie. Eine perfekte Brise, kühl und leicht, strich über ihr Gesicht und wirbelte weiter unten auf der Straße Staub auf. Sie konnte die Windmühle sehen, das Dach der Scheune. Ihr war nie der Gedanke gekommen, dass ihr diese neue Welt genauso schnell und endgültig verloren gehen könnte wie die alte.
    Es tue ihm schrecklich leid, aber es habe einen Unfall gegeben, sagte der Mann.
    Sie wich zurück, und er trat näher, um sicherzugehen, dass sie verstanden hatte, was er sagte. Vor einer Stunde war er auf das Silo geklettert, hatte hineingeschaut und oben auf dem Getreide ihre Körper gesehen, die schon blau waren, aber friedlich wirkten – sie Seite an Seite mit

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