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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Mutter Kaufmann. »Stell dich einfach hin und zeig ihnen, was du kannst. Meinetwegen kannst du auch lächeln. Die kommen schon zu dir.«
    Als Cora an jenem kalten, sonnigen Morgen zum ersten Mal mit ihren Stäben und ihrem Ring auf den Schulhof ging, ignorierten die anderen sie wie immer. Die Mädchen, die Anmut spielten, warfen und fingen weiter, während die anderen darauf warteten, dass sie an der Reihe waren. Die Jungen standen beim Baum herum. Cora hörte, wie der Kies unter ihren Schuhen knirschte, als sie leicht auf den Fersen wippte, um sich bereit zu machen. Sie warf ihre Zöpfe auf den Rücken. Es war dasselbe wie zu Hause, sagte sie sich, derselbe Ring, dieselben Stäbe. Aber ihre Hände zitterten, als sie die Stäbe unter dem Ring verschränkte.
    Sie fing mehrere hohe Würfe hintereinander auf. Sie fing den Ring hinter ihrem Rücken auf und gleich darauf noch einmal. Sie wusste, dass die anderen Mädchen zuschauten, als das Klicken ihrer Ringe und Stäbe aufhörte. Wieder schleuderte sie den Ring in die Luft, noch höher als vorher, und als sie ihn auch diesmal hinter ihrem Rücken fing, rief einer der Jungen – sie sollte nie erfahren, welcher – laut: »Verflixt, Cora! Alle Achtung!« Und tatsächlich war das der Moment, in dem sich alles änderte. Zwei der älteren Mädchen kamen zu ihr, genau wie Mutter Kaufmann es vorhergesagt hatte. Sie wollten wissen, wie sie es schaffte, den Ring so hoch zu werfen und jedes Mal zu erwischen. Konnte sie es ihnen zeigen? Wo hatte sie gelernt, so gut zu spielen?
    »New York«, antwortete Cora, die den Ring immer noch hoch, hoch, hoch in die Luft schleuderte. Die Sonne schien warm auf ihre Stirn. Noch war sie nicht bereit, die anderen anzusehen. »Das können dort alle so gut.«
    Es war überraschend und ein bisschen verwirrend, wie leicht von da an alles ging. Die Mädchen stritten darum, wer mit ihr spielen durfte. Einige waren sogar freundlich zu ihr, wenn sie nicht spielten. Cora wurde nie zu jemandem nach Hause eingeladen, aber sie waren alle ein bisschen netter zu ihr, und ein paar Kinder riskierten sogar den Zorn ihrer Eltern, indem sie nach der Schule mit ihr nach Hause gingen. »Du bist richtig nett«, sagte ein Mädchen zu ihr. »Mein Vater sagt, dass manche Leute ihre Herkunft überwinden können.«
    All das wegen eines Spieles, eines Ringes und zwei Stäben, einiger Regeln. Wirklich, es war, als hätte sie die anderen ausgetrickst. Schließlich war sie immer noch der Mensch, der sie vorher gewesen war. Sie kam immer noch aus New York City, hatte eine unbekannte Herkunft und dunkles Haar. Das Spiel hatte sie nicht wirklich anmutiger gemacht oder sonst etwas gebracht, außer der Fähigkeit, einen Ring mit zwei Stäben aufzufangen. Es war nicht einmal ein besonders interessantes Spiel; es gab nur eine begrenzte Möglichkeit, den Ring zu werfen und zu fangen, und nach einer Weile gab es kaum noch Möglichkeiten für Herausforderungen oder Verbesserungen. Aber sie spielte noch lange, nachdem es sie langweilte, weiter – aus demselben Grund, aus dem sie überhaupt angefangen hatte.
    »Ich glaube, deine Eltern waren gute Menschen«, sagte Mutter Kaufmann eines Tages zu Cora. Es war ihr vierzehnter Geburtstag oder zumindest der Tag, den sie als ihren Geburtstag bezeichneten, der Jahrestag ihrer Ankunft mit dem Zug. Sie und Mutter Kaufmann waren in der Küche damit beschäftigt, Kartoffeln zu waschen und in Scheiben zu schneiden, wobei Mutter Kaufmann aufpasste, dass Cora den Schnitt immer von der Hand weg führte. In dem messingverzierten Herd stand ein Kuchen im Backrohr, und obwohl es ein kalter Tag war, war es in der Küche so warm, dass die unterteilte Fensterscheibe beschlug.
    »Ich habe dir das noch nie gesagt.« Sie hielt inne und sah Cora an. »Aber du bist jetzt älter, und ich glaube, du kannst es hören.« Sie schnitt wieder weiter und behielt Coras Hände nach wie vor im Auge. »Als ich Mrs. Lindquist von nebenan erzählte, dass wir daran denken, ein Kind aus dem Zug bei uns aufzunehmen, riet sie mir ab, es sei denn, ich wolle bloß jemanden für die Arbeit. Sie meinte nicht die Herkunft und all das.« Sie warf Cora einen scheuen Blick zu. »Sie meinte, du würdest mich nie lieb haben. Sie meinte, Kinder können keine Zuneigung erwidern, wenn sie von Anfang an ohne Liebe aufgewachsen sind.«
    Cora dachte darüber nach, während sie weiter Kartoffeln schnitt und auf den Regen lauschte, der aus der Rinne über dem Fenster stürzte. Mrs. Lindquist

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