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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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ihm. Als wären sie in der Kälte eingeschlafen. Er glaubte nicht, dass sie gestürzt waren. Oder vielleicht war einer gefallen und der andere nachgesprungen. Wahrscheinlicher war, dass sie beide hineingesprungen waren, um wie so oft das geklumpte Getreide platt zu treten. Es war das Gas, sagte er. Vom Getreide. Sie hatten anscheinend gedacht, dass seit dem Einlagern genug Zeit vergangen war. Ein schneller Tod. Und nicht schmerzhaft. Ein anderer Arbeiter war schon unterwegs, um den Pfarrer zu holen.
    Cora rannte an dem Norweger vorbei und quer durch das Feld zu ihnen, die Hände zu so festen Fäusten geballt, dass sich ihre Nägel in ihre Handflächen bohrten. Ihre Stiefel schlugen hart und schnell auf Erde und verwelkte Maisstängel, und überall sprangen Grashüpfer auf. Die Hunde, die glaubten, dass sie spielen wollte, rannten bellend neben ihr her. Sie roch Dung und gewendete Erde, vertraut und doch beklemmend. Sie kickte einen Hund aus dem Weg. Ihr Haar löste sich aus dem Knoten, und als sie zur Leiter stürzte, war sie wie von Sinnen. Die Arbeiter hielten sie fest und sagten, sie könne nicht dorthin, könne nicht da hinaufklettern. Es brauche Zeit, um die beiden sicher zu bergen. Man konnte das Gas weder sehen noch riechen, und wenn sie jetzt dort hineinginge, würde sie ebenfalls sterben. Wieder versuchte sie, zur Leiter zu kommen. Zwei Männer waren erforderlich, um sie ins Haus zu bringen.
    An jenem Abend kamen die Lindquists zu ihr. Sie neigten ihre weißhaarigen Köpfe über ihr Bett und sagten so lange ihren Namen, bis sie sie hörte. Sie sollte jetzt nicht allein sein, sagten sie. Ihre eigenen Kinder seien erwachsen, und sie hätten freie Zimmer. Die Kaufmanns seien gute Nachbarn gewesen, und es sei das Mindeste, was sie tun könnten. Sie ließen nicht locker. Nur für eine Weile, sagte Mr. Lindquist, bis feststand, was mit der Farm passieren sollte. Selbst wenn Cora die Kraft fand, das Haus zu führen, wäre es nicht richtig, wenn ein Mädchen ihres Alters ganz allein hierblieb. Der Norweger und ein anderer Arbeiter würden bleiben, um sich um die Felder und das Vieh zu kümmern.
    Später entschuldigte sich Mrs. Lindquist bei Cora dafür. »Wir wussten nicht, dass wir es ihnen damit leichter gemacht haben, dich mit leeren Händen dastehen zu lassen«, sagte sie, während sie die Reste von Coras Abendessen mit einer Gabel in den Abfalleimer kehrte. Sie starrte finster durch das Fenster zur Kaufmann-Farm. »Der Sheriff hätte dich vor die Tür setzen müssen, aber wenigstens wäre es schwieriger gewesen.«
    Außerdem versicherte Mrs. Lindquist Cora immer wieder, dass die Kaufmanns unmöglich hatten ahnen können, dass sie beide so plötzlich und relativ jung sterben würden. Ansonsten hätten sie Cora in ihrem Testament bedacht oder sie zu einer der legalen Erbinnen erklärt, davon war Mrs. Lindquist überzeugt. Ganz sicher hätten sie das getan. Sie hatten Cora wie eine Tochter geliebt. Das hatte Mrs. Lindquist viele Male direkt aus dem Mund ihrer Nachbarn gehört, und das würde sie auch vor jedem Gerichtshof bezeugen. Es war eine Schande, fand sie, wie das Kaufmann-Mädchen und ihre Brüder Cora um ihr Erbe bringen wollten. Die Gesetze sollten geändert werden.
    Das Kaufmann-Mädchen. Auch Cora starrte durch das Fenster über die herbstlichen Stoppelfelder hinweg auf ihr ehemaliges Zuhause. Mit dem Kaufmann-Mädchen meinte Mrs. Lindquist nicht Cora, sondern Mr. Kaufmanns Tochter in Kansas, die einen Anwalt hatte und unerschütterlich die Meinung vertrat, dass Cora nicht erbberechtigt war, weil sie weder eine Blutsverwandte noch eine angeheiratete Verwandte war. Wie der Anwalt betonte, war sie ganz willkürlich ausgewählt worden. Die Kaufmanns hätten jedes beliebige Kind aus dem Zug nehmen können. Es war bedauerlich, dass Cora ihre Freundlichkeit als die elterliche Liebe, die sie leider entbehren musste, missverstanden hatte. Aber wenn die beiden ihr etwas hätten hinterlassen wollen, hätten sie es in ihrem Testament erwähnt.
    Cora hatte nicht die Kraft, sich zu empören. Ihre Trauer lag wie eine schwere Last auf ihrer Brust, die sie jeden Morgen beim Aufwachen spürte. Die Lindquists waren noch einmal zur Farm gegangen, um ihre Sachen zu holen, auch ihre Nachthemden, aber Cora brachte abends nicht die Energie auf, sich auszuziehen. Sie schlief in ihrem Kleid, lag darin wach und dachte an die Kaufmanns und den Norweger, der sagte, dass sie friedlich ausgesehen hatten, aber auch, dass ihre

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