Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Gesichter blau angelaufen waren. Irgendwann hörte sie auf, ihr Haar zu kämmen. Mrs. Lindquist, die vier Töchter geboren und nur eine durch Diphtherie verloren hatte, nahm Schweineschmalz, um die verfilzten Strähnen zu lösen. Sie warnte Cora, dass nächstes Mal nur noch die Schere helfen würde, und das sei ein Jammer bei ihrem schönen lockigen Haar. Cora zwang sich, einen Kamm zu benutzen. Sie fühlte sich elend, dass sie sich so gehen ließ, während sie hier im Haus Platz beanspruchte. Die Lindquists hatten gedacht, sie würde nur ein paar Tage bei ihnen bleiben, vielleicht eine Woche. Aber jetzt wusste sie nicht, wo sie hin sollte.
Mr. Lindquist sprach mit dem Pfarrer, der ebenfalls der Meinung war, dass Cora um ihren Anteil betrogen wurde. Er erinnerte sich, dass die Kaufmanns einmal ihre Hoffnung ausgesprochen hatten, Cora adoptieren zu können, und er konnte bezeugen, dass sie in dem Mädchen nie einen Dienstboten gesehen hatten. Sie waren einfach nicht dazu gekommen, sie zu adoptieren. Außerdem gab es gute Neuigkeiten. Der Pfarrer hatte über Coras Lage mit seinem Sohn gesprochen, der in Wichita lebte und zufällig einen tüchtigen Anwalt kannte, der finanziell so gut gestellt war, dass er auch eine kostenlose Vertretung übernehmen würde. Er wollte Cora treffen und sehen, ob er ihr helfen konnte.
Mr. Carlisle, wie Cora ihn damals nannte, war der erste Mann, den sie kannte, der eine Weste trug und ein Jackett, das zu seinen Hosen passte, und Schuhe, die blitzblank poliert waren. Als er auf der staubigen Veranda der Lindquists erschien, an seinen Hut tippte und sie ansprach, kamen beide Lindquists und starrten ihn mit großen Augen an. Es fiel ihnen schwer zu glauben, dass dieser Mann, der bedeutend genug war, um einen Fahrer zu haben, der mit Pferd und Wagen vor dem Haus wartete, so weit aufs Land hinausfuhr, um Cora zu helfen.
»Und er sieht nicht übel aus, was?«, wisperte Mrs. Lindquist Cora zu, als sie die angeschlagenen Tassen auf die geblümten Untertassen stellten und darauf warteten, dass das Wasser kochte. »Kein Ehering, dabei muss er schon um die dreißig sein. Die Frauen in Wichitia sind entweder blind oder dumm.«
Cora betrachtete die glänzende Teekanne, das verzerrte Spiegelbild ihres Gesichts. Es war ihr egal, ob ihr Anwalt gut aussah. Sogar ihr Fall war ihr egal. Die Kaufmann-Tochter hatte gesetzliche Dokumente geschickt, auf denen Cora als Cora X bezeichnet wurde. Als Cora das X neben ihrem Vornamen zum ersten Mal sah, hatte sie das Gefühl, dass sich der Rhythmus ihrer Atemzüge endgültig veränderte und sie nie wieder genug Luft in die Lungen bekommen würde. Dieses Gefühl war nicht verflogen. Falls sie Geld aus dem Verkauf der Farm erhielt, würde sie den Lindquists nicht mehr zur Last fallen. Aber die Kaufmanns würde es trotzdem nicht mehr geben. Und sie würde immer noch Cora X sein.
In der guten Stube las Mr. Carlisle die Dokumente, noch bevor er auch nur einen Schluck Tee nahm, und sagte, dass das X hinter ihrem Namen lächerlich sei und er ihr auch in dieser Angelegenheit helfen würde. Er saß auf der Kante des Schaukelstuhles, ohne zu schaukeln, und balancierte einen Notizblock auf seinem Knie. Auf der Wange hatte er eine kleine Schnittwunde vom Rasieren. Er wies darauf hin, dass der Pfarrer, als er mit ihm sprach, von Cora als Cora Kaufmann gesprochen hatte. War sie auch in der Schule so genannt worden? Cora, die neben Mrs. Lindquist auf dem Sofa saß und ihn unverwandt ansah, nickte. Sie stellte fest, dass er wirklich gut aussah. Sein Haar hatte die Farbe von starkem Tee, sein Profil war markant. Und er beabsichtigte offensichtlich wirklich, sein Bestes zu geben, um ihr zu helfen.
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen zu ihrem Lebenslauf stellen. Ich brauche Details über Ihr Leben bei den Kaufmanns, wie die beiden Sie behandelt haben. Und was davor war.« Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr und zückte einen Füller mit Stahlfeder. »Es sollte nicht länger als eine Stunde dauern. Sind Sie bereit?«
Wieder nickte sie. Mrs. Lindquist, die sich gerade über den Tisch beugte, um Tee einzuschenken, schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. Die Lindquists waren so geduldig mit ihr gewesen und so hilfsbereit, als sie ihretwegen extra zum Pfarrer gegangen waren, um ihn um Hilfe zu bitten. Und jetzt musste die alte Mrs. Lindquist, die um diese Tageszeit gewöhnlich ein Nickerchen machte, hier bei ihnen sitzen, weil es ungehörig gewesen wäre, Cora mit einem fremden Mann
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